FANWORK > Fanfiction > Anne Azel - Turkish Encounter Teil 3

Disclaimer: Die Charaktere von Xena und Gabrielle sind Eigentum von Universal und Renaissance Pictures. Es ist keine Copyrightverletzung beabsichtigt.
Dank: Mein Dank geht an all jene, die mir Feedback zu Amazon Encounter geschickt haben. Eure netten Worte waren wirklich förderlich. Da die Geschichten mit einander verknüpft sind, ist es am besten, wenn sie in der Reihenfolge gelesen werden, in der sie online gestellt werden.
Warnung: Diese Geschichte gehört zu "Alternative Fiction". Bitte lest sie nicht, wenn ihr minderjährig seid oder es an eurem Ende der Welt illegal sein sollte.
Notiz: Die Orte und Geschichten in der Story sind real. Sie sind Bestandteile meiner eigenen Feldforschungen in der Türkei.

Anmerkung von jany_: Da dieser Encounter als Grundlage zum Verständnis der folgenden Encounter dient, habe ich mir erlaubt ihn hier zu posten, obwohl ich Finonomene nicht erreicht habe. Die Übersetzung ist Eigentum von Finonomene und wird wieder offline genommen, falls sie ein Problem damit haben sollte, dass ihre Übersetzung hier gepostet wurde.

Turkish Encounter

By
Anne Azel

a_azel@hotmail.com

Übersetzung von finonomene@planet-interkom.de

Teil 3
Jamie fühlte sich unglaublich warm und geborgen und umschlungen von ihrer Liebsten. Ihr lädiertes Knie ruhte auf Gunnuls Schenkel, der Kopf auf ihrer Brust und einen Arm hatte sie eng um ihre Mitte gelegt. Gunnul versuchte, sich unter ihrer Gefährtin hervor zu stehlen, doch grüne, verschlafene Augen musterten sie und ihr Griff wurde fester. "Wohin willst du denn um diese nachtschlafene Zeit verschwinden?" murmelte Jamie.
Gunnul küsste sie auf den Kopf. "Hast du den Muezzin gehört, der uns von seinem Minarett aus zum Gebet gerufen hat?" Jamie wurde sich halb des morgendlichen Verkehrs und eines unbestimmten Heulens aus der Ferne bewusst. "Ich gehe zum Beten."
"Kann ich mitkommen?" fragte Jamie, stützte sich auf einen Ellbogen und schaute Gunnul an.
Gunnul sah überrascht aus, dann erfreut. "Wir können beten und ich unterweise dich. Komm her." ermutigte Gunnul sie.
Jamie schlüpfte aus dem Bett, entschlossen, die Kluft zwischen ihrer Welt und der ihrer Tochter zu überbrücken. Gunnul rollte den Gebetsteppich aus und begann, zu erklären: "Wir wenden uns nach Osten, dort liegt Mecca, das spirituelle Zentrum der Islamischen Welt. Eure Kirchen sind auch so ausgerichtet, dass der Altar im Osten steht. Mein Gott ist euer Gott. Ich glaube nicht, dass viele Menschen im Westen das erkennen. Allah ist kein strenger, östlicher Gott. Der Koran lehrt uns das Alte und das Neue Testament. Wie kennen die Geschichte von Moses und den anderen Propheten und wir glauben an Maria und Jesus. Wir glauben allerdings nicht, dass er der Sohn Gottes war, aber von Mohammed glauben wir das auch nicht. In unserer Religion waren sie beide großartige Propheten für Gott." Jamie nickte und nahm alles auf, was Gunnul zu sagen hatte.
"Es gibt fünf Forderungen für alle Moslems. Zuerst muss man die Shahada sprechen, um zu bekennen, dass es nur einen Gott gibt und dass Mohamed sein Prophet ist. Als zweites muss man fünf mal am Tage beten. Gewöhnlich im Morgengrauen, Mittags, Nachmittags, zu Sonnenuntergang und am Abend. Aber es spielt nicht wirklich eine so große Rolle. Wir beten, wenn wir können und wir müssen uns dazu nicht in einer Kirche versammeln, denn wir wissen, dass alle Moslems in der Welt im Gebet vereint sind. Das nennt man den Sallaht. Freitags ist das gemeinsame Gebet in der Moschee, wie bei euch an Sonntagen. Die dritte Forderung ist der Zaqat, der Zehnte Teil deiner Einkünfte gehört den Armen. Viertens müssen wir zum Ramadan von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fasten."
"Fastet Chrissy auch?" fragte Jamie.
"Kinder, Alte und Kranke und Schwangere müssen nicht fasten, man muss es auch nicht, wenn man auf Reisen ist. Chrissy hat, als sie kleiner war, eine Stunde am Tag gefastet. Das war leicht für sie. Jetzt fastet sie den ganzen Tag, bis auf einen kleinen Imbiss zur Mittagszeit." antwortete Gunnul. "Wenn sie vierzehn ist, dann erwarte ich, dass sie es richtig tut." sagte sie und schaute Jamie unsicher an. Jamie nickte, jetzt war nicht die Zeit, darüber einen Streit zu beginnen.
"Die letzte Forderung ist ein Besuch in Mecca. Chrissy war mit mir im letzten Jahr dort." beendete Gunnul ihre Erläuterungen und bedeutete Jamie, ihr zu folgen. Sie gingen in das Badezimmer und Gunnul wusch ihre Hände, das Gesicht und die Füße und wies Jamie an, das Gleiche zu tun. "Es ist wichtig, sich vor dem Gebet immer zu waschen. Man muss vor Gott mit reiner Seele und reinem Körper erscheinen. Manche Menschen im Westen glauben, dass die Islamischen Frauen schlecht behandelt werden, weil sie nicht mit den Männern beten dürfen, sondern im Hintergrund sitzen müssen. Dem ist nicht so. Es geschieht deswegen, weil wir sonst keine reinen Gedanken vor Gott haben, wenn wir zusammen sein würden. Der Islam hat die Bedingungen für die Frauen verbessert. Unser Glaube verbietet die Abtreibung oder den Missbrauch von Frauen. Ehefrauen müssen anständig behandelt und ihre Wünsche respektiert werden. Frauen sind erbberechtigt und können Eigentum besitzen. Ihre Rolle unterscheidet sich nicht von der der Männer, obwohl traditionell die Männer führen, unterstützen sie sich eigentlich gegenseitig. Jetzt komm zum Beten."
Gunnul führte Jamie zum Gebetsteppich. Dreimal verneigten sie sich nach Osten, während Gunnul die Erste Sure des Korans sprach: "Im Namen Gottes, des Allmächtigen, des Gnädigen..." Dann knieten sie nieder und senkten ihre Stirn auf den Boden. Jedes Mal wurden die Gebete wiederholt. Es dauerte nicht länger als fünf Minuten, dann rollte Gunnul ihren Teppich zusammen und räumte ihn fort.
"Betest du wirklich fünf mal am Tag, Gunnul?" fragte Jamie, denn dies war das erste Mal, dass sie bewusst ihre Liebste bei dieser Verrichtung wahr genommen hatte.
"Ich versuche es. Ich muss in zwei Welten Leben, der westlichen und der östlichen. Das ist nicht immer eine leichte Sache. Wenn ich für das Gebet nicht unterbrechen kann, dann bete ich kurz im Stillen, wo immer ich bin." erklärte Gunnul. "Gehst du in die Kirche, Jamie?"
"Nein. Ich bin im griechisch- orthodoxen Glauben aufgezogen worden, aber ich habe meinen Glauben nie ernsthaft praktiziert." erwiderte Jamie aufrichtig.
Gunnul nickte. "Wenn man sein ganzes Leben in der Wüste verbringt, dann bekommt der Glaube womöglich eine andere Bedeutung. Er gibt dir Hoffnung und Stärke. Hast du Hunger?"
"Immer." lachte Jamie und sie läuteten nach einem türkischen Frühstück.
*********
"Mein Gott." flüsterte Jamie voller Ehrfurcht.
"Du fluchst schon wieder, Jamie." sagte Gunnul streng.
"Nein, das tue ich nicht." sagte Jamie. "Ich drücke meinen Dank für all die prächtigen und schönen Dinge aus!"
Gunnul sah verwirrt aus. "Das ist eine Hymne. Warum..." dann entdeckte sie das Blitzen in Jamies Augen und lachte.
"Mein Ausruf bezog sich auf die schönste Fassade, die ich je in meinem Leben gesehen habe." erklärte Jamie.
Gunnul nickte. Sie waren frühzeitig nach Ephesus gefahren, um vor dem Ansturm der Menge dort zu sein. Jetzt standen sie über dem versunkenen Hauptplatz und betrachteten die dreistöckige, geschwungene Fassade der Bibliothek des antiken Ephesus. Die Fassade aus glattem, rosafarbenem Marmor war einfach nicht zu beschreiben, mit ihren Proportionen, den klassischen Säulenordnungen und den Statuen in den Nischen. "Hast du die Frauenstatuen in den Nischen gesehen, Jamie? Sie repräsentieren das Wissen, die Freundschaft, Verständnis und Weisheit. Die Bibliothek wurde von einem Sohn zu Ehren seines Vaters errichtet. Celsus. Seine Krypta ist noch immer zu sehen. Es war die drittgrößte Bibliothek der antiken Welt mit etwa 40.000 Schriftrollen. Man sagt, dass Aristoteles hier unterrichtete." prahlte Gunnul.
Jamie strahlte. "Hilf mir die Stufen hinunter, Gunnul. Ich will das Innere sehen!" Gunnul gehorchte der kleinen Frau, erfreut über Jamies Enthusiasmus über alles, was sie sah und kennen lernte. Im Inneren schaute sich die Amerikanerin um und versuchte, die Stimmung einzufangen, die hier einst geherrscht haben mochte und die von den Wänden zu ihr sprach, der Geruch nach frischer Tinte, das Raunen von Schülern, das Rascheln von Pergament. Beinahe konnte Gunnul auf der Außentreppe den wortgewaltigen Aristoteles mit seinen Studenten reden hören. Sie war oft hierher gekommen und durch die Ruinen gewandert, doch niemals hatte sie sich den Geistern dieser antiken Stadt so nahe gefühlt, während sie Jamie voller Erstaunen beobachtete.
Später saßen sie in einem perfekt wieder hergestellten Amphitheater, dass einst Raum für 25.000 Zuschauer bot, und versorgten sich aus der Lunchbox, die Teefo für sie zurecht gemacht hatte. "Paulus stand hier auf den Stufen, Jamie, und versuchte, die Menschen von Ephesus zum Christentum zu bekehren. Aber die Silberschmiede der Stadt hatten Angst, dass dann die Leute aufhören würden, silberne Amulette zu tragen. Sie organisierten den Mob, der während der zwei Stunden, die Paulus predigte dastand und brüllte: 'Ruhm der Artemis von Ephesus!' Paulus musste aus der Stadt fliehen, sonst wäre er gesteinigt worden." erinnerte sich Gunnul. "Deswegen hat er seine Briefe an die Epheser geschrieben, die nun in der Bibel stehen!"
"Wow, das ist beeindruckend. Ich hatte ja keine Ahnung, dass in der Türkei so viel Geschichte passiert ist." gab Jamie zu. "Paulus hätte den Silberschmieden die Idee der Kruzifixe und Leuchter verkaufen sollen. Sie hätten ihn mit offenen Armen willkommen geheißen!" überlegte Jamie und brachte damit Gunnul zum Lachen.
"Dieses Theater wird noch immer genutzt. Im letzten Jahr haben mich Chrissy und ihre Freunde überredet, sie auf ein Rockkonzert von Sting zu begleiten. Meine Ohren dröhnen immer noch davon! Die Vibrationen der Musik haben die Konstruktion in Mitleidenschaft gezogen, so dass jetzt nur noch klassische und Folkkonzerte stattfinden können."
"Gunnul! Chrissy ist viel zu jung, um zu einem Rockkonzert zu gehen!" ereiferte sich Jamie.
"Jamie, ich bin viel zu jung, um zu einem Rockkonzert zu gehen!" mokierte sich Gunnul. "Ich hatte keine Ahnung von solchen Dingen und Chrissy, sie kann wirklich das Blaue vom Himmel herunterreden, sie hat mich überzeugt, dass es Teil der europäischen Kultur ist und etwas, dass sie erleben sollte, weil sie Halbamerikanerin ist. Die Mädchen hatten einen Riesenspaß. Ich bin über diese Erfahrung immer noch nicht richtig hinweg." Jamie lachte über den Ausdruck in Gunnuls schmerzverzogenem Gesicht und umarmte sie leidenschaftlich.
"Du bist mir schon eine, so viele Anstrengungen an allen Enden, nur damit deine Tochter auch sicher beide Seiten ihres Erbes kennen lernen kann. Das ist einer von vielen Gründen, warum ich dich liebe!" bemerkte Jamie und Gunnul errötete tief.
Es war ein langer Morgen und Jamie bestand darauf, die Mosaiken auf der Curetes Street, der Hauptstraße des antiken Ephesus, noch einmal anzusehen und den Trajan-Brunnen zu fotografieren, bevor sie zur Bibliothek zurück kehrten. Gunnul zeigte ihr das alte öffentliche WC mit seiner Reihe von 48 steinernen Sitzen und die Fußabdrücke, die in den Stein des Bürgersteiges geschlagen waren, um die Richtung anzuzeigen, in der das Bordell einst lag! Die Anlage hatte sich inzwischen sehr bevölkert, als sie weiter fuhren und Jamie war froh, dass Gunnul auf einem frühzeitigen Start bestanden hatte. Die Nacht verbrachten sie in der Nähe von Kusadasi am Ägäischen Meer.
Gunnul saß in ihrem Bett und Jamie zwischen den Beinen, gegen ihre Brust gelehnt. Sie nahm das Telefon und wählte die Nummer ihres Zuhauses, während Jamie sie nervös dabei beobachtete. Diesmal sprach Gunnul Englisch. "Hallo, Chrissy! Hattest du einen schönen Tag? Oh, gut. Wir waren in Ephesus. Hier, ich lasse deine amerikanische Mutter dir alles darüber erzählen." Gunnul reichte das Telefon an Jamie weiter und lehnte sich zurück.
Eine Familie. Konnten sie eine Familie sein? Warum hatte Jamie Bilder gemacht? Bedeutete das, dass sie sie mit nach Amerika nehmen wollte, um sich zu erinnern? Würde sie wirklich Chrissy verlassen? Würde sie versuchen, Chrissy zu entführen?
Nein, nein, Jamie würde niemals versuchen, Chrissy in die Staaten zu bringen, so ist sie nicht, grübelte Gunnul. Sie lehnte sich zurück und entspannte sich und genoss das Gespräch zwischen ihrer Liebsten und ihrer Tochter. Zuerst war es höflich und zurückhaltend, nun jedoch lachten und schwatzten sie ganz unbeschwert miteinander. Sie können beide das Blaue vom Himmel herunterreden! Dachte Gunnul. Jetzt stecke ich im Schlammassel!
Am nächsten Morgen durchforschte Jamie übermüdet ihre Handtasche nach ihrem Lipgloss. Sie hatte ihren Gebrauch an Make-Up beträchtlich eingeschränkt, da Gunnul selber auch selten welches zu tragen schien. Geldbörse, Pass, Schlüssel, Tickets... Lipgloss! Jamie verschwand wieder im Badzimmer. Wenn Gunnul so zeitig am Morgen aufbrechen wollte, dann sollte sie aufhören, sie die ganze Nacht durch ihre Liebe vom Schlafen abzuhalten! Jamie grinste sich im Spiegel an - vergiss das! Sie konnten ja auch einfach später aufstehen!
Gunnul kam in ihr Zimmer und hob eine Augenbraue, über das Chaos aus Jamies Tasche auf dem Bett. Sie war in ihrer Ordnung beinahe pedantisch und sie fand Jamies Nachlässigkeit zwar süß, aber auch frustrierend. Seufzend ging sie hinüber und begann die Sachen wieder zurück in die Tasche zu stopfen. Sie konnte einfach nicht widerstehen, sie öffnete Jamies Pass und schnaubte, als sie den blassen, traurigen Ausdruck auf dem Gesicht sah, das sie so sehr liebte. Warum mussten Passbilder immer so schrecklich sein?! Das breite Grinsen verschwand, als Gunnuls blaue Augen die Seite betrachteten. Der Pass war gleichzeitig auf Chrissy ausgestellt. Gunnul untersuchte die Flugtickets, eines war für Jamie, das andere lautete auf Chrissy. Ein einfacher Flug nach New York.
Jamie legte gerade ihren Lipgloss in ihre Make- Up- Tasche zurück, als die Badezimmertür aufgestoßen wurde. Gunnul stand im Türrahmen, weiß vor Wut, ihr Körper bebte vor gewaltbereiter Energie. Jamie stöhnte auf und zuckte zurück. Die blauen Augen bohrten sich mit einem Feuer in die ihren, das nicht mehr menschlich war. "Du hast mich zum Narren gehalten." zischte Gunnul. "Du hast mich verführt und die ganze Zeit hast du vorgehabt, Chrissy zu kidnappen." Jamie schüttelte ungläubig den Kopf, aber sie war nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu sagen. Gunnul hielt die zerknüllten Flugtickets mit zitternder Faut hoch. "Niemals werde ich dich an sie heran lassen!" grollte die Kriegerin, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand.
Jamie sank auf den Wannenrand und lehnte ihren Kopf an die Ecke der Wand. Nie in ihrem Leben hatte sie sich mehr gefürchtet! Sie glaubte, der Kriegsgott persönlich wäre zurück gekehrt, um sie abzuschlachten. Jetzt verstand sie, warum und wie Gunnul ihren Platz in dieser Männerwelt behaupten konnte und als große Kriegerin respektiert und gefürchtet war! Wenn sie wütend war, dann war ihre Stärke ungehemmt! Mein Gott! Sie hat die Tickets gefunden und dachte, ich würde sie benutzen, um ihr Chrissy zu stehlen!
Jamie setzte sich auf und atmete tief durch. Und das war exakt das, was ich geplant hatte, weswegen ich hergekommen bin. Aber doch jetzt nicht mehr, jetzt, da ich gesehen habe, was für ein gutes Leben Chrissy hier führt und was für eine liebevolle Mutter Gunnul ist. Ich will Chrissy in meinem Leben, aber doch nicht auf Gunnuls Kosten! Ich muss sie finden! Sie glaubt, dass wieder jemand sie benutzt, von ihr nimmt. Sie ist viel zu verunsichert um Vertrauen in meine Liebe zu haben und sie ist nicht in der Lage, damit umzugehen! Jamie stand auf und stürzte davon, um Gunnul zu finden.
Sie hinkte die Straße hinab auf der Suche nach einem Zeichen der Türkin. "Gunnul!" rief sie, es wurde nicht erwidert. Sie drehte sich um und lief so schnell sie es wagte den Fußweg zum Strand hinunter. Sie versuchte, sich auf dem festgetretenen Sand zu halten, strebte auf das Ufer zu, wo sie zwei Fischer sehen konnte, die mit ihren Netzen beschäftigt waren.
"Haben Sie eine Frau gesehen, groß, dunkel und wirklich gutaussehend?" fragte sie sie, aber sie grinsten sie nur an und zuckten mit den Schultern. Jamie wandte sich frustriert ab und machte sich wieder auf den Weg, doch einer der Männer griff nach ihrem Arm und riss sie zurück. "Hey! Lass los!"
Der Mann lachte nur und sagte etwas, was sie auch durch seine Körpersprache verstand. Jamie riss sich wütend los, gerade als der andere Fischer hinter ihr auftauchte. Er schnappte sich ihre Krücke und zog sie unter ihrem Arm fort. Jamie verlor das Gleichgewicht und stürzte in den Sand. Die beiden Männer lachten und einer beugte sich herunter und zerrte an ihrem Hemd. Jamie versuchte ihn abzuwehren, Panik stieg in ihr auf, als sie erkannte, dass sie in größten Schwierigkeiten steckte. Ein paar rasche Schläge auf ihren Kopf betäubten sie und sie spürte, wie ihr Verteidigungswillen brach.
Plötzlich zerriss ein Schrei die Luft und einer der Männer flog ins Wasser. Der andere kniete noch immer über Jamie und zog jetzt ein Messer aus seinem Gürtel, während er langsam aufstand und Gunnul entgegensah. Er holte aus, doch Gunnul schnappte sein Handgelenk und bog es mit einer Hand zurück, während sie den Ellbogen des anderen Armes in seine Kehle rammte. Die Knochen knirschten, der Mann ächzte erstickt auf und fiel in das Boot. Der erste Mann kam triefend aus dem Wasser und stürzte sich wutschnaubend auf die Kriegerin. Er deutete einen linken Haken an und schoss dann eine gerade Rechte. Sie wich ihr aus und trat ihm mit dem Fuß in die Knie. Ihre Hand schoss nach oben und traf ihn mit Wucht an der Nase. Das Nasenbein brach unter dem Schlag. Blut schoss hervor und strömte über sein Gesicht, während er zu Boden ging.
Gunnul schaute auf Jamie nieder, bleich vor Angst und Sorge. Die blauen Augen waren eisig, ruhig und kalt. Sie schaute sich um und entdeckte Jamies Krücke am Wasser. Sie hob sie auf und gab sie der liegenden Frau ohne ein Wort. Jamie krabbelte zaghaft auf ihre Füße, dann wankte sie auf Gunnul zu und schlang ihre Arme um sie.
"Lass mich los!" schnappte die wütende Frau und stand steinstill.
"Nein, nicht bis du mich angehört hast!" schrie Jamie wütend, ihr Griff um Gunnul festigte sich. Für einige Augenblicke war nur der Klang der Wellen und des Windes zu hören, dann hob Gunnul Jamie mühelos hoch und trug sie zurück ins Hotel. In ihrem Zimmer holte sie Eis, schlug es in ein Handtuch und legte das Paket auf Jamies Kopf, die nervös auf dem Bett wartete, auf dem Gunnul sie abgesetzt hatte. Jamie legte ihre Hand über Gunnuls und hielt sie fest, als diese versuchte, sich ihr zu entziehen.
"Nein, bitte setz dich zu mir." flüsterte Jamie und klopfte sanft auf eine Ecke des Bettes. "Bitte, lass es mich dir erklären."
Gunnul schluckte und schaute an die Wand, als ob die Antwort dort geschrieben stünde. Dann schluckte sie noch einmal, setzte sich auf die äußerste Ecke der Matratze und schaute traurig auf den Fußboden. "Ich habe lange Zeit mit der Ohnmacht gelebt, nicht zu wissen, wo meine Tochter ist, ob sie lebt oder tot ist. Mit der Angst, sie könnte geschlagen werden wie ich. Ich wusste nichts außer dem, was Moe mir erzählt hat und das war ein ziemlich schreckliches Bild. Ich bin hierher gekommen, um meine Tochter zu retten und ich hätte alles dafür getan. Sogar mit meinem schlimmsten Feind hätte ich geschlafen." Gunnul zuckte zusammen und ihre Schultern sanken vor Schmerz in sich zusammen.
"Aber ich habe statt dessen heraus gefunden, dass meine Tochter geliebt wird, unterstützt und geschützt von der schönsten und bemerkenswertesten Frau, die ich jemals kennen gelernt habe. Gunnul, ich liebe dich. Ich würde dich niemals verletzen, und dir Chrissy weg nehmen. Auch würde ich es Chrissy niemals antun, dich von ihrem Leben fern zu halten. Was auch immer zwischen uns passiert, ich hoffe wir können zu einem Ergebnis kommen, das uns beide an Chrissys Leben teilhaben lässt."
Langsam hob sich Gunnuls schmerzerfülltes und besorgtes Gesicht und schaute Jamie an. Jamie setzte sich auf und schlang ihre Arme um Gunnuls Nacken und lehnte ihren Kopf unter ihr Kinn. Zögernd zogen starke Arme sie an sich. "Liebe mich." Bat Jamie und Gunnul ließ sich mit ihr auf das Bett sinken. Ihre Liebe war wütend, fordernd und leidenschaftlich. Beide versuchten sie ihren emotionalen Schmerz zu verarbeiten.
*********
Sie begannen den Tag wesentlich später, als sie geplant hatten. Gunnul lenkte den Wagen mühelos mit einer Hand, die andere hatte sie fest mit Jamies kleineren verschränkt. Jamie schaute in Gunnuls Gesicht. Es war angespannt und abgekämpft. Sie ist immer noch erschüttert heute morgen. Ich weiß, dass sie mir glauben will, aber sie hat noch immer Zweifel, erkannte Jamie und hob ihre Hände an ihre Lippen. "Warum nimmst du nicht meinen Pass und die Tickets an dich, Gunnul?" bot sie an.
"Warum sollte ich das tun?" fragte Gunnul mit gezwungener Lockerheit.
"Weil du nicht sicher bist, ob du mir trauen kannst und weil ich es möchte." konterte Jamie.
"Das wäre eine schöne Liebe, wenn ich dich wie eine Gefangene behandeln müsste, um dich zu halten." erwiderte Gunnul, ihre Stimme troff vor Ironie.
"Nein, das wäre es nicht." stimmte Jamie zu. "Aber in der Zeit würde ich mir dein Vertrauen verdienen können." erklärte sie und lehnte ihren Kopf an Gunnuls Schulter. Gunnul drückte ihre Hand, unfähig Jamie zu sagen, dass sie ihr wohl traute und ihr dennoch zu versichern, dass sie es versuchen würde, weil sie sie beinahe bis zur Verzweiflung liebte.
Sie fuhren zu den Ruinen von Aphrodisias, einer Römischen Anlage, die für Jamie wesentlich leichter zu bewältigen war. Jamie beschwerte sich niemals, wenn der Grund für sie zu uneben wurde, um sicher darauf zu gehen, sondern nahm nur scheu lächelnd Gunnuls Arm. Gunnul erwiderte dieses Lächeln und ließ sie so wissen, dass sie es genoss, Arm in Arm mit der Freundin über die Anlage zu spazieren. Auf der Hügelkuppe konnten sie über die steinernen Stufen eines Amphitheaters blicken und Gunnul nahm Jamie in die Arme und trug sie die Treppe hinunter. Sie saßen einen Augenblick nebeneinander in dem perfekt wiederhergestellten Stadion, damit sich Jamie ausruhen konnte. "Es ist kaum zu glauben, dass das alles hier so alt sein soll. Alles was man bräuchte ist eine Menschenmenge und Rom wäre wieder überall."
"Lass uns das bloß nicht für meine Heimat wünschen." Schnappte Gunnul, dann erkannte sie, was sie gesagt hatte und beide brachen in Gelächter aus.
"So sehr hasst du die Römer..." Kicherte Jamie und stupste Gunnul spielerisch mit der Schulter.
"Nicht ich!" korrigierte Gunnul. "Sondern eine meiner Ahnen!"
Sie beendeten ihren Spaziergang in einem kleinen, aber bemerkenswerten Museum Römischer Skulpturen. Dann fuhren sie weiter nach Pamukkale.
Hier durchbrach ein unterirdischer Fluss, schwer mit Gips durchsetzt, die Oberfläche und ergoss sich über die Klippen. Im Laufe der Zeit war die Landschaft zu einem Märchenland geworden, mit schneeweißen Stalagmiten und Stalaktiten, hier und da hatten sich Becken mit warmem Wasser gefüllt. Von diesem Wunder, das Mutter Natur hervor gebracht hatte, konnte man über die gesamte, tiefergelegene Ebene blicken. Teefo hatte sie natürlich im besten Haus am Platze, ganz oben auf den Klippen, einquartiert. Sie konnten aus ihrem Zimmer auf den Patio hinaus treten, der wie eine Grotte aus weißem Gips eingerichtet war, mit einem Wasserbecken, das von unten durch Flutlichter angestrahlt wurde.
Sie saßen beieinander im Wasser unter den Sternen. Jamie lehnte sich in Gunnuls starke Arme. "Morgen werden wir bei mir zu Hause sein," erklärte Gunnul und spürte, wie sich die Frau in ihren Armen verspannte.
"Was, wenn Chrissy mich nicht leiden kann? Ich weiß nicht, ob ich damit zurecht komme," gab Jamie zu und lehnte instinktiv ihren Kopf gegen Gunnuls Schulter, die einen Arm um sie schlang.
Gunnul zog die nervöse Frau näher an sich heran. "Sie wird dich mögen." murmelte sie.
"Weiß sie über mein Bein Bescheid?" fragte Jamie leise.
"Ja. Ich habe ihr schon zwei mal davon berichtet, als du nicht in der Nähe warst. Ich erzähle ihr nichts, was du nicht auch hören könntest, Jamie, doch ich dachte, es wäre unangenehm für..."
"Es ist OK. Gunnul. Ich verstehe. Was hast du ihr gesagt?" fragte Jamie etwas ängstlich.
"So viel, wie man einer Zehnjährigen erzählen kann, ohne sie mit den Sorgen der Erwachsenen zu überfordern," erwiderte Gunnul. "Sie weiß über dein Bein Bescheid und was ich für möglich halte, ohne dich zu überanstrengen. Sie weiß, dass du dich nie beschweren wirst, also muss sie darauf achten..."
"Gunnul!" protestierte Jamie und wandte sich mit einem besorgten Blick ihrer Liebsten zu. Ihre Kriegerin hob eine Augenbraue und nutzte die Gelegenheit, um einen Kuss auf Jamies Nase zu hauchen.
"Ich muss ihr doch sagen, was ich denke! Du wirst dasselbe tun. Dann wird sie sich ihre eigene Meinung bilden." erklärte Gunnul. "Sie weiß, dass deine Verletzung durch ihren Vater verursacht wurde, als er krank war. Ich habe ihr nicht erzählt wie, sondern dass du verletzt wurdest, als du versucht hast, ihm zu helfen." Und als Jamie versuchte zu protestieren, "Nein, sie muss mit der Wahrheit zurecht kommen." Jamie nickte traurig, sie spürte, wie Gunnul sie näher an sich zog und entspannte sich.
Gunnul küsste Jamies Schläfe und beugte sich herunter, um ihr in die Augen zu sehen. "Ich habe ihr gesagt, dass ich dich liebe. Das ich das Gefühl habe, als wärest du ein Teil der Familie un... u... und dass ich hoffe, dass du... dass du bleibst."
"Oh, Gunnul," flüsterte Jamie, schüttelte ihren Kopf und schlang ihre Arme um den Nacken der Älteren. "Du bist so wundervoll. Ich... ich... wünschte, ich könnte..."
Schmerz durchfuhr Gunnul, presste ihr Herz zusammen, bis es beinahe vergaß, weiter zu schlagen. Die ausdruckslose Maske, ihre Verteidigung gegen die äußere Welt, verschloss ihr Gesicht, während sie Jamie eng an sich drückte und über ihren Kopf hinweg auf den Großen Wagen im samtigen Nachthimmel schaute. Ich denke, es sieht aus, wie ein Bär, sagte eine Stimme, tief aus ihrer Seele und sie zwinkerte die Tränen fort und barg ihr Gesicht in Jamies frischem Haar.
**********
Gunnul lag im Bett, ihre Augen starrten an die Decke. Sie fühlte sich im Innersten völlig leer. Mit einem Seufzen machte sie sich von Jamie los und tappte zur Patio- Tür. Sie schaute nach draußen in die Sterne und fand in ihrer Vertrautheit die Ruhe, die sie suchte. In einer anderen Zeit hatte ihre Liebste sie gelehrt, nach Bildern am Himmel zu suchen. Sie hatte vergessen, wie man Spiele spielte, außer dem Kriegsspiel natürlich und hatte sich zunächst dagegen gewehrt, doch dann hatte sie es versucht. Danach freute sie sich gewöhnlich auf solche Nächte, wenn die Sterne in so großer Vielzahl am klaren Himmel aufgezogen waren und der Erde näher als sonst zu sein schienen. Dann würden sie das Spiel spielen. Sie hatte ihrer Liebsten niemals gesagt, wie sehr sie solche Nächte genossen hatte. Die Worte hatten ihr immer gefehlt.
Aber eines Tages hatte die Freundin ihr scheu ein Gedicht gewidmet. Und vielleicht hatte sie gewusst, wie viel ihr dies bedeutete hatte, wieder zu lernen, wie man spielte, denn Tränen waren über ihr Gesicht gelaufen und sie hatte sie für eine sehr lange Zeit fest in die Arme geschlossen.

Hinter Gunnul erklang eine leise Stimme:
"Wir liegen beieinander
Unter einem Baldachin aus Sternen.
Einst sagtest Du:
Die Sterne
Bilden im Schatten
Einen großen Wagen.
Ich sagte dir
Sie sehen aus
Wie ein dummer Bär.
Du lachtest.
Weil ich nie
Die praktische Seite sah.
Ich küsste dich
Denn ich wünschte,
Du sähest
Das Wunder auch."

Gunnul wandte sich um und Jamie schlüpfte in ihre Arme und ihre Seele. "Verlass uns nicht, Jamie." flehte Gunnul.
"Das will ich auch nicht, Gunnul. Aber ich habe einen Job. Ich habe ein Apartment mit einer Hypothek. Ich kann nicht einfach verschwinden! Wovon soll ich leben? Was ist, wenn Chrissy mich nicht mag oder dich nicht mit mir teilen will?"
"Chrissy wird dich genauso lieben, wie ich es tue." sagte Gunnul fest, sie wollte einfach keine andere Möglichkeit in Betracht ziehen. "Ich könnte Teefo schicken, dass er sich um deine Wohnung kümmert. Er wollte schon immer nach Amerika. Und du brachst nicht für deinen Lebensunterhalt zu sorgen, Jamie. Ich bin wohlhabend."
Jamie wurde steif und zog sich zurück, sie schaute Gunnul aus blitzenden Augen an. Dann seufzte sie und schüttelte den Kopf. Gunnul konnte manchmal so unschuldig sein und andererseits wieder so weltgewandt und kontrolliert. "Ich werde mich nicht aushalten lassen, Gunnul!" erklärte sie entschlossen, wenn auch freundlich und als ihre Liebste zu Protest ansetzte, legte sie ihr einen Finger auf die Lippen. "Nein, darüber können wir jetzt nicht reden. Warte." Dann legte sie einen Arm um Gunnul und ließ sich wieder ins Bett bringen.
Sie liebten sich, langsam und zart. Sanfte Finger flüsterten über warme Haut und sprachen das uralte Poem der Liebe. Weiche Lippen spielten auf den Saiten des Herzens der anderen und kündeten der erstarrten Nacht von ihrem Höhepunkt. Danach fanden sich zärtliche Arme zu einem weichen Nest für den Schlaf.
Jamie liebte es in Gunnuls Armen auf das leichte, gleichmäßige Atmen zu lauschen. In solchen Momenten fühlte sie sich ganz. Heil. Doch dann griff wieder Dunkelheit nach ihr, die aus der alten Wunde kam und die sie so tief in ihrer Seele zu verbergen suchte. Gunnul war Moes Zwillingsschwester. Sie waren beide gewalttätig, nur dass Gunnul wesentlich furchteinflößender war in ihrer Intensität und ihrer Zielstrebigkeit. Moe war wie ein kleiner Junge gewesen, der im Zorn um sich schlug. Gunnul zu ermutigen, die Grenze zu überschreiten, wäre das Zugeständnis an jemanden, der weit mehr Macht und Kontrolle über sie haben würde, als Moe es jemals konnte. Konnte sie dieser Frau wirklich trauen? Sie hatte sie heute nicht bedroht oder gar berührt, dennoch war eine Wut von ihr ausgegangen, die wie körperliche Schläge war. Jamie küsste den Arm, der um sie geschlungen war und instinktiv, sogar im Schlaf, zog Gunnul sie enger an sich. Jamie schmiegte sich an sie und verdrängte die Dunkelheit wieder. Ich liebe dich, Gunnul. Es gibt da nur einen Teil in mir, der nicht sehr gut verheilt ist.
Der nächste Morgen fand ein seltsam stilles und nervöses Paar, das in Richtung Antalya unterwegs war. Sie überquerten das Taurus- Gebirge, dessen Gipfel dicht mit Pinien bewachsen waren und kamen bald zu einer Klippe, die sich weit über das Mittelmeer spannte und von der aus in der Ferne der Hafen von Antalya zu sehen war. Hier bog Gunnul durch ein großes, steinernes Tor und winkte der Wache am Eingang zu. Sie folgten einer gewunden Straße zunächst durch einen Pinienwald und später dann durch einen wunderschön gestalteten Garten zu einer märchenhaften Villa mit Panorama auf die See und das Taurusgebirge.
Gunnul kam zum Stehen und ein Diener eilte durch die geöffneten Türen. Teefo wartete natürlich auch auf den Stufen. Jamie schaute sich offenen Mundes um. "Jamie, stimmt etwas nicht?" fragte Gunnul besorgt. Jamie schüttelte den Kopf. Gunnul hatte gesagt, sie wäre wohlhabend, aber verdammt noch mal, das hier war nicht nur wohlhabend, das war schwerreich! Plötzlich konnte man das Geräusch von kleinen, rennenden Füßen vernehmen und ein wunderhübsches Kind mit dunkelbraunem Haar flog in Gunnuls Arme. Die Türkin fing sie lachend auf und warf sie in die Luft, fing sie wieder in einer riesigen, festen Umarmung und küsste ihre Wange, während sie einander auf Türkisch begrüßten.
Dann nahm Gunnul die Hand des kleinen Mädchens und brachte sie zu Jamie, die ganz weiche Knie hatte und sich schwer auf ihre Krücke stützte. "Chrissy, das ist deine andere Mutter, Jamie Dedeman."
Gunnul wusste nicht sicher, welche von beiden mehr Zuspruch brauchte. Sie waren alle reichlich geschockt durch dieses Zusammentreffen. Am Ende landeten alle drei in einer Umarmung und hielten sich eine lange Zeit aneinander fest. Schließlich nahm Gunnul eine jede beim Arm und führte sie in den Garten. Sie saßen zusammen auf einer viktorianischen Schaukel neben einem Lilienbeet, Chrissy zwischen sich, und redeten miteinander. Chrissy hielt sich an Gunnul fest, als gelte es ihr Leben und streichelte und berührte Jamie mit der anderen wieder und wieder. Jamie bestand nur noch aus Lächeln, trotz der Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Gunnul schwieg, sie schlug ihre eigene Schlacht. Die Freude, ihre Tochter und ihre Seelengefährtin vereint zu sehen und gleichzeitig die Furcht, sie könnte Chrissy verlieren. Die anderen beiden wurden nicht sprachlos, sie füllten die Stille. Zwei identische, grüne Augenpaare glänzten vor Staunen und Tränen.
Stille Diener servierten den Nachmittagstee und Gunnul nahm mit Stolz zur Kenntnis, wie Chrissy als türkische Gastgeberin das Zitronenöl und die türkischen Köstlichkeiten anbot. Jamie sagte und tat alle Dinge richtig, sie benutzte die wenigen türkischen Worte, sehr zu Chrissys Erstaunen. Dann bereitete Chrissy türkischen Kaffee und sie tranken, während ihre Tochter ihnen von ihren Erlebnissen berichtete, während Gunnul fort war.
"Ich werde euch beide jetzt alleine lassen, damit ihr euch besser kennen lernen könnt." Sagte Gunnul nach einer Weile und stand auf. "Ich muss mich um ein paar Dinge für deinen Aufenthalt hier kümmern, Jamie, und dann muss ich nach den geschäftlichen Angelegenheiten sehen." Zwei grüne Augenpaar schauten alarmiert auf. Sie drückte zärtlich Chrissys Hand und beugte sich nach unten, um ihren Scheitel zu küssen. Ein Moment des Zögerns, dann klopfte sie Jamie auf das Knie und huschte mit den Lippen leicht über ihre Stirn. "Ihr seid meine beiden liebsten Menschen." beruhigte Gunnul sie und wandte sich dann dem Hause zu, Mutter und Tochter ihren Gesprächen überlassend. Es war das Härteste und Schmerzlichste, was Gunnul jemals in ihrem Leben getan hatte.
Teefo wartete im Schatten des Hauses. "Teefo, Mrs. Dedemans Räume..."
'"Ich dachte es wäre bequemer für Mrs. Dedeman, wenn sie in den an ihre Räume angrenzenden Zimmern untergebracht wird, General Dedeman." Gunnul hob überrascht eine Augenbraue. "Es wird einfacher für Chrissy sein, wenn sie Sie beide besuchen möchte. Dann muss sie sich nicht entscheiden." Die Augenbraue wanderte ein weiteres Stück nach oben. Teefo jedoch zeigte sich ungerührt, indem er fortfuhr: "Die Räume sind für den Partner des Oberhauptes des Hauses bestimmt, und ich nehme an, das trifft auf Mrs. Dedeman zu."
Einen Moment herrschte Schweigen, langsam verzogen sich Gunnul Lippen zu einem schmalen Grinsen. Teefos Gesicht blieb ausdruckslos. "Ich hoffe, Mrs. Dedeman akzeptiert solch ein Arrangement." sagte Gunnul schließlich.
Dieses Mal versagte Teefos Bemühen um Haltung und er sah ziemlich verblüfft aus. "Und sie muss sehr glücklich sein!" brach es aus ihm hervor und er errötete bis unter die Haarwurzeln.
Gunnul lächelte und hob eine Augenbraue. "Ich danke dir, Teefo." erwiderte sie.
Teefo räusperte sich verlegen. "Gern geschehen."
"Und du glaubst nicht, dass ich auch glücklich bin?" zog Gunnul ihn auf.
Über Teefos Gesicht glitt ein breites Grinsen. "Definitiv!" sagte er warmherzig und dann wurde ihm klar, dass er hier die Frau einschätzte, die sein Boss liebte. "Das heißt, wenn sie zu Ihnen passt."
Gunnul brach in lautes Lachen aus. "Ihr türkischen Männer und eure Vorliebe für Blondinen!" grinste sie, ihre Augen funkelten voll Freude darüber, dass andere Jamie auch schön fanden. Gunnul wechselte das Thema. Es war genug gesagt worden, sogar zu jemandem, der ihr so nahe stand, wie Teefo. "Bitte bring mir die Ordner ins Büro, ich muss einigen Firmen eMails senden." wies sie ihn an. Teefo nickte und verschwand leise, um die Order auszuführen. Gunnul wandte sich zum Garten um. Jamie erzählte eine Geschichte und Chrissy saß aufmerksam lauschend zu ihren Füßen. Sie lächelten beide. Schmerz schoss durch Gunnuls Herz und sie schluckte hart, dann wandte sie sich ab und ging eilig in ihr Büro.
"Chrissy, Liebes, tust du mir einen Gefallen?" fragte Jamie nach einer langen Zeit des Herantastens.
"Natürlich, Mom." erwiderte Chrissy mit einem leichten Akzent, den Jamie zauberhaft fand.
"Geh und suche jemand, der mich in mein Zimmer bringen kann und dann such deine andere Mutter. Ich möchte nicht, dass sie sich ausgeschlossen fühlt." wies Jamie sie an.
Chrissy lächelte und nickte, während sie auf die Füße kam, dann lief sie los. Jamie schaute über den riesigen Garten auf das massive Haus und die spektakuläre Aussicht. Mein Gott! Worauf habe ich mich da nur eingelassen? "Mrs. Dedeman?" erklang eine leise Stimme.
"Ja?" erwiderte Jamie und sah sich um auf eine ältere Frau, die scheu neben ihr wartete.
"Ich bin Shantu, die Haushälterin. Ich werde sie zu Ihren Räumen bringen, bitte." erklärte die freundliche Frau.
Jamie nickte und folgte der Frau durch die außergewöhnlichsten Räume, die sie jemals gesehen hatte. Shantu lief langsam und an den Treppen blieb sie zögernd stehen, zu höflich, um Jamie zu fragen, ob sie Hilfe benötigte.
"Ich bin OK. Ich schaffe es, wenn ich langsam gehe." erklärte Jamie, doch sie spürte, wie ihr die besorgte Frau in kurzem Abstand direkt folgte, um sie aufzufangen, sollte sie stolpern.
Sie gingen durch eine Halle und die Haushälterin öffnete eine Tür zu einem großen Salon. Französische Türen führten auf einen riesigen Balkon. Die Frau führte sie nach rechts zu einem Schlafzimmer. Es war beinahe so groß wie Jamies gesamtes Appartement daheim. Aus dem Schlafzimmer führte eine Tür zu einem Bad, komplett mit Whirlpool und Sauna und einem begehbaren Kleiderschrank mit Spiegeln vom Boden bis unter die Decke. "Wohin führt diese Tür?" fragte Jamie nachdem sie erfahren hatte, wie die Hifi- Anlage und der Computer zu finden und zu bedienen waren. Beides diskret hinter einer falschen Wand im Schlafraum verborgen.
Shantu errötete. "Bitte, diese Tür führt in die Räume von General Dedeman."
Jamie lächelte und wackelte mit den Augenbrauen. Die ältere Frau kicherte, während sie sich zurück zog.
Chrissy spazierte fröhlich in Gunnuls Büro, um den massiven Schreibtisch herum und krabbelte auf Gunnuls Schoß, während diese mit einem Partner in Saudi Arabien telefonierte. Gunnul nahm sie in die Arme und küsste die Schläfe ihrer Tochter und beendete nebenbei das Gespräch mit ihrem Geschäftspartner. Nachdem sie aufgelegt hatte, schaute sie ihre Tochter erwartungsvoll an.
"Sie ist nett, nicht wahr, Mom?" sagte Chrissy stolz.
"Ich glaube ja." erwiderte Gunnul aufrichtig.
"Sie erzählt lustige Geschichten. Sie war auf vielen Rockkonzerten und sie mag Jazz und Blues, wie du! Sie hatte sogar einen Hund, der hieß 'Argo'. Ich habe ihr erzählt, dass dein Pferd auch so hieß.
Ist das nicht seltsam, Mommy? Ihre Augen haben die gleiche Farbe wie meine, aber sie denkt, ich sehe so aus wie du. Ist ihr Haar nicht wundervoll? Es ist wie Gold, nur weicher. Hast du ihre Haare mal angefasst, Mom? Es fühlt sich an wie Seide." Gunnul nickte, sie war Chrissys ungestüme Redeflüsse schon gewohnt.
Plötzlich wurde Chrissy ernst. "Ihr Bein ist nicht richtig zusammengewachsen. Ihr Knie hat so eine komische Beule und ihr Fuß dreht sich nach innen. Tut das sehr weh, Mom?"
Gunnul drückte Chrissy beruhigend an sich. "Ich glaube nur manchmal, ja, wenn sie das Bein überanstrengt." antwortete ihre Mutter ehrlich.
"Braucht sie dieses Metallding, um laufen zu können?" fragte das Kind neugierig.
"Ich habe gesehen, wie sie ohne es stehen und gehen konnte, wenn sie drinnen ist, oder der Boden eben. Aber sie braucht es zum Laufen, damit sie die Balance nicht verliert," erwiderte Gunnul und spürte, wie der Schmerz der Schuld nach ihrem Herzen griff.
"Mein Vater, er war ein böser Mann. Wird sie uns deswegen hassen?" fragte Chrissy mit besorgter Stimme.
"Nein! Natürlich nicht, Chrissy!" protestierte Gunnul. "Sie weiß das du und ich nicht so krank sind, wie dein Vater und sie versteht, dass dein Vater solche schlimmen Dinge nicht getan hat, weil er ein schlechter Mensch war, sondern weil er sehr krank geworden ist von Alkohol und Drogen."
Chrissy nickte traurig. Dann: "Sie mag dich sehr!" eröffnete ihre Tochter glücklich.
Gunnul reagierte überrascht und fragte nervös: "Woher weißt du das?"
"Sie hat mir die Geschichte von den beiden Männern erzählt, die versucht haben, sie am Strand auszurauben und wie du die aufgemischt hast und sie gerettet. Sie hält dich für wundervoll." sagte Chrissy stolz. "Und sie mag deine blauen Augen!"
Gunnul grinste, gerührt vom Lob ihrer Liebsten. "Ich habe ihr gesagt, dass du den bösen Blick hast und sie war wirklich überrascht. Also habe ich ihr erklärt, dass die Menschen in der Türkei glauben, dass blaue Augen über andere sehr viel Unheil bringen können. Sie hat gesagt, dass sie hofft, dass ich das nicht glaube! Ich habe gesagt, dass ich es nicht tue, aber viele andere schon."
"Gut, ihr beide scheint ja in der kurzen Zeit eine Menge übereinander erfahren zu haben," erklärte Gunnul. "Ich gehe nach oben und schaue nach, ob deine andere Mom sich zurecht gefunden hat. Warum gehst du nicht nach draußen zum Spielen und kommst nachher zum Beten und zum Mittagessen zu uns?" schlug Gunnul vor.
"Sie ist ein Moslem?" fragte Chrissy aufgeregt.
Gunnul lachte, "Nein, aber sie ist damit einverstanden, zu Allah auf unsere Weise zu beten, wenn sie bei uns ist. Und jetzt raus mit dir!" kommandierte Gunnul und Chrissy umarmte ihre Mutter und hüpfte durch die französischen Türen hinaus in den Garten.
Gunnul fand Jamie am Fenster in ihrem Schlafzimmer stehend, das sich auf die See öffnete. Gunnul trat schweigend hinter sie und legte ihre Hände auf Jamies Schultern. Jamie zuckte überrascht zusammen, lehnte sich aber dann an Gunnul und ließ sich von der Türkin in die Arme nehmen.
"Bist du OK?" fragte Gunnul besorgt.
"Ja, schon, aber ich bin emotional ein wenig überfordert." erklärte Jamie. "Sie ist wundervoll, Gunnul. Ich danke dir!" Dann begann sie zu schluchzen und Gunnul drehte sie herum, so dass die kleine Frau ihren Kopf an ihrer Schulter unter ihrem Kinn bergen und ihren Gefühlen freien Lauf lassen konnte.
Sie beteten alle miteinander. Jamie war jetzt in der Lage, die Eröffnungsformel in Türkisch zu sprechen. Sie hat ein wirkliches Empfinden für Sprache, dachte Gunnul stolz und das Wissen, dass Jamie bereit war, Chrissys türkische Erziehung anzuerkennen, wärmte ihr Herz.
Nach dem Essen zeigten Chrissy und Gunnul Jamie das Anwesen. Sie aßen spät zu Abend, auf dem Patio über dem Mittelmeer, und schauten dann im 'Medienraum' zum Abschluss ein Fußballspiel im Fernsehen an. Gunnul hatte berichtet, dass Fußball beinahe eine Religion für die Türken war und dass die Leute es sehr ernst nahmen. Jamie mussten die wichtigsten Grundlagen erst erklärt werden, doch bald schon hatte auch sie sich für das Spiel begeistert. Gunnul und Chrissy jubelten für die eine Seite, während Jamie für die andere Seite die Daumen drückte. Das Spiel endete 1:1 und mit einer Kissenschlacht auf der Couch.
Jamie und Gunnul brachten gemeinsam Chrissy zu Bett und Jamie erzählte die Geschichte von Paul Bunyon, die Gunnul genauso viel Spaß zu machen schien, wie ihrer Tochter. Später spazierten die beiden Frauen Hand in Hand zurück zu Jamies Räumen. "Du erzählst wundervolle Geschichten," lobte Gunnul. "In der alten Welt warst du eine Bardin, weißt du das?"
"War ich das?" rief Jamie aus. "Ich kann mich selber in den Erinnerungen so schlecht sehen, nur dich und was du tust." stellte die Amerikanerin fest.
Gunnul nickte, öffnete die Tür und folgte Jamie nach drinnen. "Für mich ist es genauso. Ich sehe dich. Ich spüre dich. Ich rede mit dir und du antwortest." murmelte sie und begann, Jamies Hemd aufzuknöpfen. "Was bin ich in deiner Erinnerung?"
Jamie wich ein Stück zurück und schaute in die überraschten und gleichzeitig besorgten Augen ihrer Kriegerin. Sollte sie es ihr sagen? Ja, sie musste es wissen! "Du warst die Zerstörerin der Nationen bis du dich gewandelt hasst und dein Schwert für das Gute gebraucht hast. Du warst die mächtigste Kriegerin in ganz Griechenland."
Gunnul trat ans Fenster und schaute in die Nacht. "Ich habe viele getötet, genau wie meine Ahnin. Da ist diese Dunkelheit in mir. Ich bin unverhältnismäßig stark. Ich muss immer besonders vorsichtig sein, damit ich die Menschen nicht aus Versehen verletze." Sie wandte sich um und schaute Jamie an. "Willst du deswegen nicht bei mir bleiben? Wegen der Gewalt in mir?" fragte sie und ihre Lippen zitterten vor Erregung.
Jamie seufzte. "Nein, es ist viel komplizierter. Ich glaubte, als ich Moe traf, dass ich endlich den Raum zwischen meiner eigenen, geheimen Welt und der realen Welt überbrückt hatte. Das war ein schrecklicher Fehler. Ich will diesen Fehler nicht noch einmal machen. Ich kann es nicht!"
Gunnul nickte und schluckte. "Jamie, möchtest du, dass ich dich nicht mehr berühre?"
Jamie schüttelte den Kopf und ging hinüber zu ihrer verstörten Liebsten. "Komm her, du große, dumme Kriegerin," flüsterte sie, ihre Lippen ganz nahe an denen der anderen. "Ich möchte, dass du mich hochhebst und zum Bett trägst und mich die ganze Nacht liebst." Und Gunnul führte zum ersten mal in ihrem Leben bereitwillig die Anordnungen eines anderen aus!
Nach dem Morgengebet und einem leichten Frühstück weckten Gunnul und Chrissy Jamie auf.
Chrissy rannte durch das Zimmer, sprang zu Jamie ins Bett und umarmte sie stürmisch. "Guten Morgen, Mommy! Hast du gut geschlafen?" fragte sie und krabbelte unter die Bettdecke, sich eng an ihre amerikanische Mutter kuschelnd.
Jamie suchte Gunnuls Blick, die ganz die Unschuldige mimte. "Ich war erschöpft und habe sehr gut geschlafen, danke, Chrissy." Gunnul schnaubte.
"Komm ins Bett, Mom!" forderte Chrissy sie auf. Sie lächelte, trat näher und ließ sich dann auf der Decke neben Jamie nieder, den Rücken gegen das Kopfende gelehnt. Jamie strahlte sie an. Nur wenige Stunden zuvor hatte sich Gunnul an der gleichen Stelle befunden, jedoch unter der Decke und eng an sie gekuschelt.
"Also Chrissy, womit sollen wir deine andere Mom heute unterhalten?" fragte Gunnul. Sie streckte eine Hand aus, um das Haar ihrer Liebsten zu berühren, klopfte dann aber nur das Kissen auf. Jamie kicherte.
"Ich glaube, wir sollten nach Antalya fahren und einkaufen!" erklärte Chrissy begeistert.
"Einkaufen!" wiederholte Jamie und setzte sich mit funkelnden Augen auf.
"Ja! Die Geschäfte in Antalya sind toll! Du wirst sehen. Ich liebe Einkaufen für mein Leben gern!"
Gunnul stöhnte. "Daher hat sie also diesen schrecklichen Charakterzug." grollte sie.
Jamie streckte ihr die Zunge heraus. "Du musst ja nicht einkaufen. Du kannst später nachkommen und unsere Tüten zurück zum Wagen tragen." schlug Jamie vor und Chrissy lachte.
"Ich werde überhaupt nicht einkaufen! Aber ich werde euch in die Stadt fahren und euch laufen lassen, während ich mich um einige geschäftliche Angelegenheiten kümmere." Stimmte Gunnul zu und stand zögerlich aus dem Bett auf. "Komm, Chrissy, mach dich fertig."
*********
Gunnul setzte die beiden Einkäuferinnen am Großen Ottomanischen Turm ab, der den malerischen Hafen von Antalya bewachte. Sie verabredeten sich für 2.00 Uhr am Nachmittag.
Punkt 2.00 Uhr Gunnul bog in dem Rolls, den sie an diesem Tag fuhr, um die Ecke, doch es war niemand in Sicht. Sie seufzte und verließ die Fahrbahn, um einen Parkplatz zu finden. Es war klar, die beiden würden bis zur letzten Minute bummeln und einkaufen!
Gunnul schaute auf ihre Uhr, während sie sich am Turm aufbaute. Sie waren jetzt schon fünfzehn Minuten über die Zeit und sie begann, sich Sorgen zu machen. Halb drei hatte ihre Sorge das Stadium von Panik erreicht. Was hatte sie getan? Sie hatte ihre Tochter einer Frau überlassen, die sie erst eine Woche kannte! Eine Frau, die Pässe und Tickets hatte und ihre Tochter mühelos rauben konnte. Es gab einen Flughafen in Antalya. Ihre Tochter konnte inzwischen entführt worden und auf dem Weg in die USA sein! Würde sie auf legalem Wege Chrissy zurück bekommen können, wenn ihre leibliche Mutter erst einmal mit ihr in den Staaten war?! Wahrscheinlich nicht. Gunnuls Herz schlug rasend vor Angst und ihre Wut kannte keine Grenzen.
Eine dreiviertel Stunde später entdeckte sie die beiden Vermissten, wie sie die Straße herunter kamen, in den grünen gleichen T-Shirts mit einer Disneyfigur auf der Schulter. Chrissy hatte Pluto und Jamie Donald Duck. Die beiden hielten einen Moment inne, als sie den mörderischen Blick in Gunnuls Gesicht sahen. "Wo... seid... ihr... gewesen!" schnaubte sie, die Hände in die Hüften gestemmt.
Tränen traten in Chrissys Augen und Jamie legte einen Arm um sie. "Es ist meine Schuld, Gunnul. Es tut mir leid..."
"Entschuldige,... ich dachte, du hättest... ich war in Sorge... Kommt. Der Wagen ist dort drüben." stammelte Gunnul und versuchte angestrengt, sich wieder in den Griff zu kriegen. Jamie und Chrissy tauschen besorgte Blicke und folgten gehorsam der erzürnten Kriegerin. Im Wagen war es für eine Minute völlig still.
Dann seufzte Gunnul und zerzauste Chrissys Haar. "Tut mir leid, Liebling, ihr beide habt mich zu Tode erschreckt, das ist alles." gab die Türkin zu.
"Uns tut es leid, dass wir zu spät waren, Mom und dass du dir Sorgen machen musstest. Wir wären ja pünktlich gewesen, aber es ist etwas passiert, dass ich dir nicht erzählen kann, weil ich es versprochen habe." erklärte Chrissy aufrichtig.
Blaue Augen schossen hoch und trafen Jamies. "Was ist passiert?" fragte sie ruhig, doch in einem Tonfall, der vermuten ließ, dass sie alles andere als ruhig bleiben würde, wenn sie nicht schnell eine vernünftige Erklärung bekam.
Jamie stöhnte und schaute aus dem Fenster. "Erzähl du es ihr, Chrissy." murmelte sie.
Chrissy war begierig darauf und sie tat es. "Mom ist auf eine unebene Stelle auf dem Gehweg getreten und in einen Stand gefallen, wo sie Getränke verkauft haben und der Mann auf dem Fahrrad hat geklingelt und das hat das Pferd erschreckt, das einen Wagen mit Touristen zog und es ist aufgestiegen und die Wagen mussten anhalten und fingen an, zu hupen und der Kutscher und der Getränkeverkäufer haben Mom angeschrien, die versucht hat, alles zu erklären, ich habe übersetzt und dann kam die Polizei." Berichtete Chrissy in einem Atemzug.
Stille. Dann: "Bist du in Ordnung, Jamie?" fragte Gunnul ernst.
"Ja."
"Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte." Fragte Gunnul leise.
Chrissy antwortete: "Der Mann auf dem Fahrrad hat nicht mal angehalten und der Polizist hat nach Moms Pass gefragt und unsere Namen aufgeschrieben. Aber als ich ihm meinen nannte, hat er gefragt, ob ich deine Tochter bin und ich habe ja gesagt und wir konnten gehen."
Gunnul nickte und schaute durch die Windschutzscheibe, ihr Gesicht verriet keine Gefühlsregung, bis auf eine Augenbraue, die beinahe in ihrem Haaransatz verschwand. Sie startete den Wagen und fuhr auf die Straße. Die Fahrt zum Anwesen verlief schweigend.
Als sie ankamen und durch den Haupteingang traten, sagte Gunnul: "Chrissy, du bringst die Einkäufe nach oben und packst sie aus, ich muss mit deiner Mutter reden. OK?"
Chrissy nickte und nach einem besorgten Blick in Jamies Richtung, verschwand sie nach oben. Als sie außer Sicht war, öffnete Gunnul die Türe zu ihrem Büro und forderte Jamie auf, einzutreten. Deren Hinken war offensichtlicher als sonst, doch Jamie tat wie ihr geheißen, zu besorgt, um die Schönheit und den Reichtum des Raumes anzuerkennen. Sie verschwand beinahe in dem riesigen Ledersessel vor Gunnuls massivem Schreibtisch aus Kirschbaumholz.
Gunnul kam herüber und schaute auf Jamie nieder, dann kniete sie vor ihr nieder und nahm Jamies kalte Hände in ihre. "Es tut mir leid. Ich hatte Panik. Kannst du mir meine Zweifel vergeben?" fragte sie leise, mit einem wirklich besorgten Ton in der Stimme.
Jamie nickte unter Tränen und Gunnul zog sie in ihre Arme. "Bitte Chrissy nicht, die Wahrheit vor mir zu verbergen, OK? Sie wurde dazu erzogen, immer ehrlich zu sein."
Jamie nickte. "Das war wirklich dumm von mir, Gunnul. Ich möchte nicht, dass sie oder ich Geheimnisse vor dir haben. Es war nur, dass ich mich das erste mal um Chrissy kümmern sollte und ich habe wirklich ziemlichen Mist gebaut. Es war mir peinlich."
Gunnul nickte verständnisvoll und beugte sich lächelnd vor, um Jamies Stirn zu küssen. "Es ist schade, dass ich es verpasst habe. Es scheint als hättest du ganz schönes Aufsehen erregt!" scherzte sie.
Jamie lehnte ihr Gesicht an Gunnuls Hals. "Ja, das habe ich." stimmte sie zu.
"Und jetzt sagst du mir, ob du dich verletzt hast." ordnete Gunnul an und stricht sanft über Jamies Rücken.
"Ein paar Beulen und Kratzer, Gunnul, das ist alles und ich habe mir das Knie verdreht und jetzt ist es wund." antwortete sie ehrlich.
"Brauchst du einen Arzt, Jamie?" fragte Gunnul und versuchte, nicht überbesorgt zu klingen.
"Nein, es geht mir gut. Ich brauche nur ein wenig Ruhe." antwortete Jamie.
Gunnul hob Jamie auf ihre Arme und trug sie in ihr Zimmer. Sie bereitete den Whirlpool für sie vor, während Jamie sich entkleidete. Als sie zurück ins Schlafzimmer kam, fand sie ihre Liebste auf der Couch sitzend in einen Hausmantel gekleidet und einem Päckchen im Schoß. "Das habe ich für dich gekauft," erklärte sie. Gunnul öffnete das Paket und fand ein grünes T-Shirt mit einer Mikey Mouse auf der Schulter. Sie lachte. "Ich wollte nicht, dass du dich ausgeschlossen fühlst." lächelte Jamie weich, Röte stieg ihr den Hals empor.
Gunnul schlüpfte aus ihrer Hundert- Dollar- Seiden- Bluse und zog das Baumwollshirt über den Kopf. "Ich danke dir, Jamie. Ich werde es gerne tragen!" Jamie lächelte glücklich und Gunnul hob sie auf und trug sie in das Badzimmer.
Später hatten es sich alle drei in Jamies Bett gemütlich gemacht und aßen von Tabletts, während sie sich eines von Chrissys Disney-Videos anschauten. Jede trug ihr T-Shirt. Chrissy erklärte Gunnul ganz ernsthaft, dass sie Mikey Mouse auf ihrem hätte, weil Jamie gesagt hatte, dass das der Führer des Stammes sei! Gunnul wurde rot und umarmte Chrissy und Jamie hob die Augenbrauen.
In dieser Nacht lag Jamie in Gunnuls Armen. "Morgen früh, Jamie, möchte ich, dass du im Bett bleibst." Jamie wollte protestieren, doch Gunnul schnitt ihr das Wort ab. "Dein Bein braucht Ruhe. Am Wochenende werden wir eine Hochzeit in Cappadocia besuchen. Du musst dich ausruhen."
"Gunnul, vielleicht möchte deine Cousine aber keine Fremde bei der Hochzeit dabei haben." protestierte Jamie, doch Gunnul lachte.
"Sie kann mir gar nicht dankbar genug sein! Du wirst den bösen Blick bannen!" lachte sie.
"Ich werde was?!" regte sich Jamie auf, doch zu Gunnuls Freude stimmte sie in ihr Lachen mit ein.
"Es ist ein Aberglaube. Blonde, blauäugige Menschen bringen Glück für eine Hochzeit. Du wirst meinen bösen Blick überwachen! Du neutralisierst mich!" kicherte Gunnul.
Jamie stieß Gunnul in die Rippen. "Ich habe grüne Augen! Wie du sehr wohl weißt! Und ich halte deine Augen für wunderschön und wenn ich irgend jemanden etwas anderes sagen höre, dann kriegt er es mit mir zu tun!" argumentierte Jamie und ihre grünen Augen blitzten.
Gunnul wurde still und schaute in die smaragdene Tiefe. "Morgen werde ich dich an einen sehr geheimen Ort bringen, Jamie." Sie löschte die Lichter und zog ihre Liebste fest an sich.

weiter zu Teil 4