Lao Ma's Kuß
Von Elaine Sutherland
Übersetzung von Xenina
Einleitung:
Die jüngste Entdeckung aus Amphipolis, ein Manuskript von Tao Te Ching mit einem geheimen Versteck voller Briefe, die in den Einband eingenäht und in derselben Handschrift verfasst sind wie das Manuskript selber, hat die Welt der Wissenschaft erschüttert. Nicht nur wird dieser Band nun für das Original gehalten (und die anderen antiken Texte für Kopien aus derselben Zeit), sondern diese Briefe vom selben Autor zeigen, dass das große Buch über den Taoismus von einer Frau geschrieben wurde, von Lao Ma. Überdies verbinden diese Briefe die Philosophie von Tao Te Ching mit historischen Ereignissen von höchst privater und intimer Natur. Und Brennstoff in ein immer loderndes Feuer gießend sind die in den Briefen beschriebenen Ereignisse auch noch praktisch identisch mit den auf der Schriftrolle XG 145, ausgegraben 1986 von Xenologen bei Athen, beschriebenen. Die genaue Übereinstimmung beider Berichte liefert den zwingenden Beweis, dass die beschriebenen Ereignisse historisch sind. Daß einer der Berichte vom anderen abgeschrieben wurde ist unmöglich. Es ist nicht nur sicher, dass Xena und Gabrielle die Briefe, welche in Chinesisch verfasst sind, nicht gelesen haben können, es ist sogar wahrscheinlich, dass sie nichts von deren Existenz gewusst haben, da die Briefe bis zu ihrer heutigen Entdeckung ungestört im Einband des Buchs verborgen waren.
Die zwei Berichte ( Gabrielle's Aufzeichnungen und die Briefe Lao Ma's) werden im Folgenden nebeneinander gestellt. Hier fordern zwei Philosophien - östliche Passivität und westliche Aggressivität - einander heraus, es vermischen sich zwei Leben und wir sehen Yin und Yang in den außergewöhnlichen Charakteren dieser zwei Frauen.
Lao Ma scheint mit dem Schreiben der Briefe ein paar Jahre nachdem Xena sie verlassen hatte, begonnen zu haben, als sie erkennen mußte, dass ihr Gefangenschaft und Tod bevorstehen. Den letzten Brief hat sie einen Tag vor ihrer Hinrichtung im Gefängnis geschrieben, er wurde von einem unbekannten Mitglied ihres Haushalts herausgeschmuggelt.
Der Bericht auf der Schriftrolle XG 145 wird Gabrielle zugeschrieben, die Xenas Erinnerungen an deren Reisen nach China offenbar in den eigenen Worten der Kriegerin niederschrieb. Es ist Gabrielle's Verdienst, dass der rauhe
Ton der undisziplinierten "Xena der Steppen" in der Erzählung nachklingt, obwohl es die ältere, weisere Xena war, die ihr berichtete. Es ist auch ein Zeichen für Gabrielles Fähigkeiten als Bardin, dass sie keine eigenen Gefühle in die Erzählung einfließen ließ, obwohl es für sie schwer gewesen sein muß zu hören, dass Xena einst eine andere Frau so sehr geliebt hat.
Letztlich zeigt das alles, dass das Erscheinen Lao Ma's in Xenas früherem Leben nicht nur eine der exotischeren Episoden während Xenas "dunkler Jahre" war, sondern auch ein Vorbote der späteren, freundlichen Einflüsse, welche die Aggresssionen der berühmten Kriegerprinzessin im Laufe ihres Lebens mildern sollten. Die Größe von Lao Ma's Opfer ist nicht zu unterschätzen, aber auch nicht Xenas Einfluß auf die Chinesin. Es sieht so aus, als ob Xena der Taoistischen Religion ihren Stempel aufgedrückt hat, so wie diese ihr.
Professor Elaine Sutherland
Stanford University, Abteilung Sinologie
Und nun folgen die zwei Erzählungen von:
Lao Ma's Kuß
Es begann damit, daß Borias, der Mistkerl, mich, als wir gerade guten Sex hatten, von seinem Pferd stieß und wie ein Hund weggaloppierte um den mächtigen Laotse zu treffen. Er sagte, dass ich die Verhandlungen nur verpfuschen würde, wenn ich dabei wäre. (....) Er verließ mich wie eine Konkubine um über unser Schicksal zu verhandeln. Ich nahm meine Krücke und humpelte hinüber um auf mein Pferd zu steigen, dort war der einzige Ort wo ich mich heil fühlte. Auf dem Pferderücken konnte ich so gut wie ein Mann reiten und kämpfen und nun ritt ich wie ein Dämon und holte Borias gerade in dem Moment beim Jurtenlager ein, als er den Herrscher von Lao traf. Ich fiel fast wieder vom Pferd als ich sah, dass es eine Frau war.
Sie stand vor ihrer Sänfte und sprach mit Borias als ich herankam. In den zwei Jahren, die ich nun in der Steppe lebte, hatte ich die Umgangssprache der Nomaden gelernt und konnte mich, genau wie Borias, auch auf Chinesisch unterhalten. Diese Frau sprach jedoch mit einer Formalität und Feinheit, wie ich sie noch nie zuvor gehört hatte und Borias, der ihr antwortete, klang genau wie der Barbar, der er war. Als die Frau mich endlich bemerkte - und dafür brauchte sie lange genug- starrte sie mich mit dem ausdruckslosen Gesicht ihres Volkes an und sagte dann meinen Namen. Sie hatte von mir gehört, gehört, dass ich gefährlich sei. Das gefiel mir. Gefährlich zu sein. Sie verbeugte sich leicht aber es war die höfliche Verbeugung eines Regenten. Da war etwas sehr mächtiges hinter diesem Porzellangesicht und ich hasste es. Ich wollte ihr ins Gesicht schlagen damit sie ein Gefühl zeigt und dann wollte ich sie dafür töten, dass sie Borias' Interesse auf sich zog. Als sie ging, neigte ich meinen Kopf auf die gleiche Weise wie sie, nur ein klein wenig.
Als ich Dich das erste Mal sah, Xena, warst Du eine wilde Frau, galoppiertest in das Lager und sprangst mit verkrümmten Beinen vom Pferd. Du warst in die Fetzen aus Fell und Leder gehüllt, die die Nomaden sowohl als Kleider als auch zum Bau ihrer Behausungen verwenden. Als Du zu uns gehumpelt kamst sah ich sofort, wie gefährlich Du warst. Borias war im Vergleich zu Dir harmlos; beinahe bemitleidete ich ihn. Du warst gefährlich weil Du gerissen und skrupellos warst, weil Du ein Krüppel warst, Mitleid abstoßend fandest und weil Du schön warst. Wunderschön. Du lachtest über mein Eingehen auf Borias' Würde, welches die Voraussetzung für unsere Vereinbarungen war und dadurch untergrubst Du jegliche Hoffnung auf ein Bündnis. Ich sah in Augen von einer Farbe, wie ich sie noch nie bei einem Nomaden oder Chinesen gesehen hatte. Und ich verstand, warum einige meiner Soldaten Dich Geist und Dämon nannten. Ich blickte in diese Seen aus Eis so lange ich es wagte und sah Gier und Stärke und schwelenden Zorn. In dem Moment erübrigte sich alles, was ich für Borias geplant hatte, hörte auf, interessant zu sein.
Erinnerst Du Dich an die "Unterhandlungen" in Borias' Jurte? Ich schmeichelte ihm und war die vollendete Diplomatin. Ich bewunderte seine tätowierten Hände, seinen Schmuck, ließ ihn sich etwas einbilden und denken, er würde mich beeindrucken. Die Nomaden sind so einfältig. Du beobachtetest uns über den Tisch hinweg, während Du Opium rauchtest und obgleich Du selten sprachst und nur schmolltest, fühlte ich Deine Anwesenheit mehr als die seine; ich fühlte Dein Interesse und Deinen pulsierenden Groll. Du warst böse, einfach nur weil Du dachtest, ich wolle Borias, würde mich ihm vielleicht in dieser Nacht hingeben. Ich sagte Dir, dass ich kein Fleisch esse aber Du hast nicht begriffen, was ich damit meinte. Du dachtest lediglich in die Zukunft von Stunden, aber die Entscheidungen jener Nacht würden Ereignisse in Gang setzen, die unser Leben lang widerhallen würden, die Königreiche von Ming und Lao verändern sollten und Verderben über beide Häuser bringen würden.
Borias brachte mich zu jener Jurte, in der ich die Nacht verbringen würde, um am nächsten Morgen sein Lager zu verlassen. Vielleicht dachtest Du, wir beabsichtigten, miteinander intim zu werden. Vielleicht dachte er das auch. Ich war sicher, dass Du irgendwo draußen lauern würdest und ich fühlte Dich eintreten noch bevor ich mich umdrehte und Dich mit Deinen nutzlosen Messern sah. Du warst eine hervorragende Kämpferin draußen auf dem Pferderücken aber in engen Unterkünften taumeltest Du mitleiderregend und natürlich rechnetest Du keineswegs mit meiner kriegerischen Geschicklichkeit. Ich hatte keine Mühe, Deine Messer zu Dir zurückzuschleudern und dabei hätte es bleiben sollen. Du aber warst so wütend dass Du fortfuhrst mich zu attackieren und ich musste Dich aus der Jurte schleudern. Es erfüllte mich mit Schmerz, Dich bewusstlos im Schmutz liegen zu sehen, so wild und schön und so außer Kontrolle. Als Du zu Dir kamst, flüsterte ich Worte von denen ich wusste, dass Du sie nicht beachten würdest, von denen ich aber hoffte, dass Du Dich an sie erinnern wirst. Ich flüsterte Dir das Tao zu, "Befreie Dich selbst von allem Begehren und verstehe das große Geheimnis aller Dinge". Aber die Worte klangen hohl und meine erste Unterweisung war schon ein Kompromiß. Denn als ich Dich so daliegen sah, blutig durch meine Hände, fühlte ich bereits die Andeutung von etwas, von dem ich mich befreit zu haben glaubte. Als ich fortging, verjagte Borias Dich aus dem Lager und das Unheil nahm seinen Lauf.
Ich sah sie miteinander turteln wie Tauben, Borias und diese chinesische Hure und es machte mich verrückt. Das Opium half gar nichts. Es machte es bloß schwerer, ihnen zuzuhören oder darüber nachzudenken, wie ich sie töten soll. Ich versuchte die Chinesin zu erschrecken indem ich ein Messer nach ihrer Hand warf als sie diese nach der Fleischplatte ausstreckte, aber sie machte nur eine ihrer rätselhaften Bemerkungen. Ich konnte nicht ertragen zuzusehen, wie sie Borias verführte und so ging ich. Aber nur um neue Messer zu holen.
Ich betrat ihre Hütte gerade als sie ihre Ohrringe abnahm. Ich dachte, es würde einfach sein; sie sah so schwach aus, wie die kriecherischen Diener in den großen Häusern von Chin. Aber sie fing meine Messer schneller als ich gucken konnte und schleuderte mich durch die Luft. Als ich am Boden lag, starrte sie mich genauso an wie am Morgen bei Borias. Sie flüsterte einige fremdartige Anweisungen..... dass ich mich selbst vom Begehren befreien soll wenn ich den Weg wissen will aber all das bewirkte nur, dass ich noch wütender wurde. Dachte sie wirklich, sie könne mich lehren nichts zu wollen nachdem sie mich gerade erniedrigt hatte? Ich war angefüllt mit Demütigung und hätte halb China getötet um dieses Gefühl loszuwerden. Dann, als hätte es nicht noch schlimmer kommen können, ließ sie den Vertrag, den sie mit Borias geschlossen hatte, fallen und Borias, der ein paar Stunden früher am Tag noch zwischen meinen Beinen gelegen hatte, jagte mich aus dem Lager. Nun, wenn das sein Wille war, egal. Ich hatte sowieso meinen eigenen Plan und dieser würde Borias reumütig zu mir zurück bringen.
Ach Xena, waren es wirklich nur Verbitterung und Gier, die Dich in vollem Galopp zurück nach Ming trieben? Wir sind Räder unter Rädern und drehen uns stets. Das bisschen Habgier, dieser Dein Ausbruch von Wollen und Zorn besiegelte unser aller Schicksal. Ein Kind zu entführen, MEIN Kind und Erbe des Hauses Ming. Keine Torheit hätte größer sein können, keine Verrücktheit hätte Deinen Untergang mehr beschleunigen können.
Es stimmt, Du hast das Blut des Kindes nicht vergossen, und trotzdem hast Du es verletzt. Du brachtest ihm Entsetzen und Verzweiflung bei und das verdarb ihn. Er wäre ein strenger Regent geworden aber Du hast aus ihm ein Ungeheuer gemacht. Und nach all der Verheerung durch Deinen Zornesausbruch hast Du nicht eine einzige Münze von all dem Lösegeld auch nur berührt. Die Folge Deines grausamen Willens zur Macht war das, was Du am allermeisten fürchtetest: ein Bündnis zwischen Deinen beiden größten Feinden.
Ich dachte, es wäre eine gute Idee, Ming Tien zu entführen und ich schaffte das ohne das geringste Problem. Ihr Götter, es war die einfachste Sache von der Welt. Ming Tzu hatte beinahe keine Wachen aufgestellt, der Idiot, und ich riß seinen Prinzen zu mir in den Sattel und ritt zurück in die Hügel. Der Junge weinte oder sprach niemals aber er machte sich vor Angst in die Hosen. Es gab niemanden sonst, mit dem ich hätte reden können und so redete ich mit ihm, erzählte ihm, wie man mit seinen Feinden umgehen muß: "Töte sie", sagte ich, "und prahle damit so dass sie lernen dich zu fürchten. Töte sie durch Deine Soldaten oder Henker oder mit deinen eigenen Händen wenn es sein muß. Aber töte sie oder sie werden dich töten, verlaß' dich drauf." Und ich schlug ihm mit meinem Messer auf seinen kleinen Kopf so dass er sich erinnerte. Alles war perfekt, es gab keine Schwierigkeiten und das Lösegeld wurde überbracht. Es war wunderbar.
Und dann verriet Borias mich. Der Bastard übergab mich an Ming Tzu wie einen Stapel Felle und verschwand mit der Hälfte des Lösegeldes. Für den Jungen wollte Ming Tzu an mir ein Exempel statuieren und schlug mich aber es war nicht so schlimm alsdaß ich es nicht hätte ertrage können. Was Grausamkeit betraf konnte Ming Tzu seinem Erben nicht das Wasser reichen und ich denke, dass Ming Tien davon etwas enttäuscht war. Ich hatte für ihn den Maßstab an Unbarmherzigkeit gesetzt und er konnte es kaum abwarten, ihn umzusetzen. Ich konnte das in seinen Augen brennen sehen, während der ganzen Zeit meiner Gefangenschaft. Ich hatte ihn gut unterrichtet und nun war ich seine Aufgabe. Im Verhältnis dazu war Ming Tzu beinahe freundlich. Ich schlief diese zwei Nächte in einer trockenen steinernen Zelle anstatt in einem Abwasserkanal und am Morgen kleideten sie mich für die Jagd. Es war das zerrissene Kleid der vorherigen Beute, einer Frau, die, wie sie sagten, zu schnell starb und sie hofften, ich würde längere Unterhaltung versprechen. Es stank nach Hunden und Tod.
Und so brachte man mich schaudernd in das Jagdgebiet, in einem Bambuskäfig auf einem rumpelnden Wagen. Seltsam sind die Dinge die du beachtest wenn du denkst dass du sterben musst. Es war ein kühler Morgen aber die Sonne schien hell und die Vögel sangen. Es erinnerte mich an Kinderspiele in den Wäldern obgleich die Bäume im Lande Chin anders waren als die mir bekannten.
Neben dem Wagen gingen zwei Männer mit bronzenen Hellebarden, als ob ich eine Eskorte nötig gehabt hätte. Zwei andere hielten die Leinen von Jagdhunden. Ich fragte mich, welcher der Hunde mich wohl als erster erreichen würde und wie lange ich sie wohl mit meinen Händen würde abwehren können, bevor sie mich niederrissen wie ein Reh.
Der Wagen stoppte und ich sammelte all meinen Mut und all meine Gedanken. Aber gerade als unsere jämmerliche Gruppe letzte Vorbereitungen für die blutige Unterhaltung traf, erschien Lao Ma's Sänfte. Sie stieg aus, kam zu uns und gab dem Jungen etwas, was er zu ihr zurück warf. Ich glaube, dass ich, seit mir bewusst war, dass ich von Hunden in Stücke gerissen werden sollte, nicht mehr auf vieles achtete. Aber in diesem roten Mantel - der chinesischen Farbe für Glück - stach sie von den Bäumen ab wie eine Flamme. Für einen kurzen Moment, als sie sich nach mir umsah, glaubte ich beinahe ihre Wärme zu fühlen.
Es war kein Zufall, dass mein Gefolge den Weg von Ming Tzu kreuzte. Ich war nicht nur dort um Ming Tien zu sehen, sondern hatte von Deiner Hinrichtung gehört und beschlossen, Dich zu retten. Wie erfreut war ich, Dich in dem Käfig zu sehen. Nicht aus Haß oder Bitterkeit, mein Liebling, sondern weil ich es als das Ende von "Xena der Steppen" ansah. Ich konnte Dich nun mitnehmen und bei Deinen ersten Schritten hin zum Tao leiten. Ming Tzu, der Narr dachte Du wärest sein nur weil er Dich gefangen hatte aber in Wahrheit warst Du mein.
Du brauchtest nur noch die Jagd zu ertragen und so lange den Hunden zu entgehen bis ich die andere Seite des Waldes erreichen würde wo Du Dich in die Sicherheit meiner Arme würdest fallen lassen können. Verzeih' mir meine flüchtige Zerstreutheit als ich mit meinem Sohn sprach. Ich wusste, dass ich ihn verloren hatte aber ich wünschte den Faden zu erhalten welcher uns noch aneinander band. Aber er war zu schwach und löste sich, wenn nicht dort auf dem Weg so doch kurte Zeit später.
Ich hörte die Hunde und sah den dunklen Punkt den sie verfolgten durch die Bäume hindurch schwanken und flattern. Du fielst und ich fürchtete um Dich und jedes Mal zwang ich Dich mit meiner Willenskraft, wieder aufzustehen. Und dann endlich kamst Du zu mir, fielst erschöpft vor meine Füße. Welche Ironie. Du lagst im Staub mit Deinen versagenden Beinen und in Deinen Gefängnislumpen und dennoch warst Du es, die sich zu Größe durchrang während ich bald stürzen sollte. Während ich Deine Retterin war, würdest Du letztendlich mein Untergang sein. Ich wagte damals nicht, Dich zu berühren, Du warst so argwöhnisch bezüglich meiner Motive. Aber ach - wie gerne hätte ich es getan.
Ich dachte, es wäre das Ende. Erst rannte ich mit dem Stock, dann verlor ich ihn und rannte weiter, taumelnd auf meinen schmerzenden, krummen Beinen. Ich verfluchte Borias und Ming Tzu und alles blühende Leben während ich vor meinen Peinigern floh. "Ich werde sie alle töten" dachte ich einförmig, während ich um mein Leben rannte. Ich floh vor den Jägern aber langsam begriff ich, dass ich auch auf irgendetwas in der Ferne zu rannte. Ich stolperte und fiel und taumelte weiter, hin zu der Stelle, die mich anzog. Und schließlich fiel ich wieder hin. Ich fühlte den heißen Atem der Hunde an meinen Fersen und wusste, dass ich nicht wieder aufstehen würde. Mein letzter Gedanke war....... nichts. Ich hatte keinen letzten Gedanken. Und so füllte, als ich ihre Füße und den Saum ihres Mantels vor mir sah, Lao Ma's Bild mein Bewusstsein wie Wasser, das in ein leeres Gefäß fließt.
Sie beruhigte die Hunde und half mir auf die Füße und als ich wieder sprechen konnte, fragte ich sie: "warum?" Ich dachte es sei ein Trick, den sich jemand als noch grausamere Bestrafung ausgedacht hat aber sie sagte, sie könne in meine Seele sehen und sähe Größe. Sie schien immer in Rätseln zu sprechen.
Sie brachte mich in das Haus Lao und versteckte mich im Wasserbecken im Innenhof. Ich duckte mich ins Wasser als wir meine Verfolger kommen hörten
und dann ließ ich mich unter die Oberfläche sinken. Der Hof war dunkel und ich war sicher vor den Augen der Verfolger aber mein Leben hing davon ab, dass Lao Ma sie in weniger als einer Minute loswurde. Die Minute verging und ich öffnete meine Augen um ihr Zeichen zu sehen aber, ihr Götter, es kam nicht. Ich war am Ende und hörte ein Dröhnen in meinen Ohren. Dann sah ich ihr Gesicht im Wasser und begriff, was sie beabsichtigte: mir einen Atemzug Luft zu geben. Einen kleinen Atemzug um mir eine halbe Minute länger Sicherheit zu verschaffen. Ich drehte meinen Kopf und fühlte ihre Lippen. Wir brauchten eine Sekunde um zu kapieren, dass ich erst ausatmen musste, bevor ich einatmen konnte und als ich das getan hatte, presste sie ihren Mund wieder auf meinen und gab mir die Luft aus ihren Lungen. Es war eigenartig, dieses kleine bisschen Leben von ihr zu nehmen. Es war intimer als alles, was ich je getan hatte.
Die Verfolger waren nur eine Minute hinter uns und ich versteckte Dich an dem einzigen Ort, der mir einfiel, in meinem Wasserbecken. In dem von Kerzen erhellten Raum war die dunkle Oberfläche des Wassers undurchsichtig und Du warst gut versteckt. Aber Ming Tzu hatte einiges zu sagen und auch noch einen nachträglichen Einfall. Und es war diese nachträgliche Idee, die Dich beinahe umbrachte. In der Hoffnung Deinen Mund zu finden tauchte ich mein Gesicht in das Wasser, aber Du fandest den meinen. Deine Lungen waren angefüllt mit nutzloser Luft und als sie entwichen war, bedeckte ich erneut Deine Lippen mit den meinen und gab Dir meinen eigenen Atem. In diesem Moment waren wir Yin und Yang, Gewalt und die Nachgiebigkeit, gemeinsam atmend. Es berührten sich lediglich unsere beiden Münder und doch fühlte ich Dich bis in mein Innerstes als ich Luft in Deine Lungen presste, Luft, die bereits in meinem Herzen und in meinem Blut gewesen war. Es war Leben in ihr und Du saugtest es in Dich auf bei unserem ersten eiligen Kuß. Es war ein Kuß, der mich teuer zu stehen kam. Denn als ich Dir Atem gab, mein Liebling, opferte ich meine eigene Erleuchtung.
Es reichte. Ich passte auf und als sie ihren Kopf noch mal drehte kam ich spritzend an die Luft und sie lächelte mich an. Als Ming Tien gegangen war, ließ sie mich in dem Wasserbecken, zog mir aber meine zerrissenen Kleider aus. Nach den Nächten in der Gefängniszelle und dem Kriechen durch den Wald muß ich schmutzig gewesen sein, besonders nach ihren Maßstäben. Als ich nackt war wusch sie mich und goß Wasser über mein Haar. "Nichts ist so weich wie Wasser" murmelte sie mir mit ihrer schönen tiefen Stimme zu, "aber wer kann der reißenden Flut widerstehen." Sie trocknete mich mit ihren eigenen Händen und kleidete mich in Seide. Ich hatte solche Seide bei den adeligen Chinesen gesehen, sie aber niemals auf meiner Haut gefühlt. Es war, als wäre man in eine Brise Luft gekleidet und ich saß atemlos vor Lao Ma während sie mein Haar kämmte. Sie kämmte es glatt, band es in einer Art Zopf zusammen, wie ihn die chinesischen Frauen tragen und befestigte ihn mit geschnitzten Haarnadeln aus Holz. Es war ihr Versuch, mich zu zivilisieren.
Aber ich wollte nicht zivilisiert werden. Ich sehnte mich nach Rache.
Nun war ich wieder frei und hatte nur einen Gedanken -zurück zu Ming zu gehen und ihm seinen arroganten Kopf abzuschneiden. Aber unerklärlicherweise hielt Lao Ma mich auf. Sie hatte ihre Gründe dafür, mich gerettet zu haben und ich war ein bisschen daran interessiert, sie herauszufinden. Und ich konnte es einige Tage oder eine Woche aufschieben, Ming Tzu hinzumetzeln. Das schuldete ich Lao Ma.
Als Ming Tzu gegangen war, fiel eine Last von uns. Wenn er zurückkäme - was er natürlich tun würde - würde er Dich nicht bemerken. Er suchte eine wilde Frau aus der Steppe aber er würde lediglich die schwachen ehrerbietigen Frauen meines Haushalts sehen.
Anfangs warst Du ungestüm wie ein Reh aber als die Tage vergingen wurde Dein äußerliches Gebaren weicher und Deine Geduld wuchs. Du konntest meinen Blick länger erwidern und ließest mich Dir Dinge zeigen. Als erstes zeigte ich Dir Seide, Du hattest nie welche getragen. Du warst argwöhnisch als ob ihre Weichheit und Durchsichtigkeit Dich irgendwie schwächen würde. Aber dann begannst Du sie zu mögen und ich sah Dich natürlich gerne darin gekleidet.
Ich machte mich daran, Dich in anderen Dingen zu verfeinern. Ich zähmte Dein wildes Haar und ölte Deine Haut. Deine scharfen westlichen Gesichtszüge faszinierten mich und ich schminkte sie mit unseren Farben. Zum Vorschein kam ein Gesicht, welches weder chinesisch noch das einer Nomadin war, aber aufregend und fremd - und ausdrucksvoll. Jedes Gefühl war in Deinem Gesicht zu sehen, im Heben einer Augenbraue, dem Kräuseln Deiner Lippen, einem seitlichen Blick. Unfähig, sie zu verbergen oder wenigstens abzuschwächen schienen Deine Gefühle Dich zu beherrschen. Ich konnte in Deinem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch. Jetzt ist Xena misstrauisch, nun ist sie ärgerlich, jetzt neugierig, jetzt erheitert. Es war fast überflüssig mit Dir zu sprechen; Deine Gedanken waren stets in Deinem Gesicht zu lesen.
Also ließ ich sie mich verzärteln und anmalen wie eine Puppe. Nie hatte eine Frau mich in dieser Weise berührt, nicht seit meiner Mutter und daran erinnerte ich mich kaum.
Lao Ma wusste genau, wie sie mit mir umgehen musste. Hätte sie mich auch nur das kleinste bisschen eingeschränkt, hätte sie die Tür verschlossen oder eine Wache auf mich angesetzt, ich wäre augenblicklich gegangen. Aber sie ließ mich durch den Palast und die Gärten wandern, stellte mich dem Haushalt als ihr "ehrenwerter Gast" vor und so hielt mich ein Gefühl von Verpflichtung dort - ein Gefühl, das jemals zuvor gehabt zu haben ich mich nicht erinnern konnte. Aber ich fühlte mich nicht so sehr verpflichtet, alsdass ich ständig in Lao Ma's Reichweite geblieben wäre. Am zweiten Tag entdeckte ich die Ställe und den Stalljungen Liu Ling. Mit Lao Ma's widerwilligem Einverständnis zeigte er mir die besten Pferde und ich wählte meinen Liebling, den rötlichgrauen Hengst Tai Feng. Ich ritt meist abends auf ihm durch die Felder und Wälder von Lao Ma's Land. Ich ritt zur Grenze zum Königreich Ming - überquerte sie aber nicht. Das war sowohl eine Möglichkeit um meinen Haß auf Ming Tzu zu nähren, alsauch um meine Geduld zu erproben. Ich wusste, dass er da drüben war und auch, dass ich ihn eines Tages zu seinen Vorfahren schicken würde. Das tröstete mich etwas. Ich wusste auch, dass Lao Ma mich "zu Tode zähmen" würde, wenn ich nicht trainieren und meine Kraft stählen würde. So ritt ich oft in die Wälder, in denen mich Ming Tzu's Hunde gejagt hatten und übte, gärend durch die Erinnerung daran, Sprünge und Kampftechniken bis ich erschöpft war.
Wenn die Sonne vollständig untergegangen und der Himmel dunkel war kehrte ich zurück, genauso schäumend wie das Pferd. Ich übergab Tai Feng an Liu Ling, der sich um ihn kümmerte und nachdem ich mich in Lao Ma's Bad abgeschrubbt hatte, ging ich wieder zu einem zivilisierten Abendessen mit ihr.
Das alltägliche Getränk war Tee aber sie hatten auch Bier und eine Art Likör, viel stärker als die fermentierte Stutenmilch der Nomaden. Die chinesische Küche war auch neu und angenehm für meinen Geschmack, nach zwei Jahren Hammelfleisch, Ziege und Kasha der Nomaden. Das chinesische Essen war in einer Weise gewürzt wie ich es noch nie zuvor geschmeckt hatte, mit Zimt und Pfeffer und etwas wundervollem, Ingwer genannt. Das Essen war in kleine Stücke geschnitten, die kaum gekaut werden mussten aber man musste sie mit kleinen Essstäbchen aufnehmen. Lange Zeit bekam ich nicht viel zu essen.
Oh Xena, erinnerst Du Dich an unser erstes ordentliches gemeinsames Mahl auf der überdachten Terrasse? Ich erinnere mich deutlich und mit großer Zärtlichkeit daran. Du warst geritten und Dein Gesicht, welches Du gerade gewaschen hattest, war von der Anstrengung gerötet. Als es dämmerte, begann es zu regnen und das Geräusch des Regens war beruhigend als wir uns zum Essen niederließen.
Du warst ungeschickt mit den Essstäbchen aber ich verbot Dir, mit den Fingern zu essen, was nicht einmal chinesische Kinder tun. Deine Lösung war zu versuchen, das Essen mit Deinem Messer aufzuspießen, welches ich Dir mühsam aus Deiner Hand winden musste. Ich nehme an, dass ich die einzige Person war, die Dir jemals ein Messer entrissen hat und noch lebt um davon zu erzählen. Mit einem Blick der sich von Erstaunen zu Verdrießlichkeit wandelte beschuldigtest Du mich, Dich verhungern zu lassen. Ich ging auf das Spiel ein und fütterte Dich aus meiner Schale, Stück für Stück, mit meinen eigenen Essstäbchen. Dicht bei Dir lehnend schob ich Dir die Stäbchen in den Mund, mit Fisch oder Reisbällchen oder mit Ingwer und Du lecktest jeden Krümel auf. Und dann aß auch ich von diesen Essstäbchen und wunderte mich, wie viel von Dir noch an ihnen haftete.
Das muß unser Lieblingsspiel gewesen sein denn es dauerte viele Tage bis Du lerntest, Dich selbst zu füttern und bis dahin waren die Frauen meines Haushalts zu dem Schluß gekommen, Du wärest geistesschwach.
Trotz all der Seidenkleidung und der ganzen Tischspiele vergaß ich doch nicht, dass ich eine Kämpferin war. Eine Kriegerin mit einem Plan oder doch wenigstens den Anfängen eines Plans. Ich dachte, ich würde eine Weile bleiben, meine Kräfte sammeln, herausfinden wer bestechlich war, wie man Pferde stehlen konnte und welche Waffen man benutzen konnte um eine neue Armee zu bilden. Ich hatte eine Menge Vergeltung zu üben. Aber ich konnte den richtigen Augenblick abwarten. Es eilte nicht. Ich würde warten und lernen. Inzwischen faszinierten mich das Königreich von Lao, das Land Chin und Lao Ma selbst.
Ich war schon an viele Orte gereist, in Städte, zu den Meeren der Piraten und in die rauen Steppen der Nomaden aber ich war noch niemals in einem Palast gewesen. Die Fußböden waren aus poliertem Holz, die Zimmer geräumig und fest und die Türöffnungen, die sie aufgrund ihres Wissens rund bauen konnten waren gemustert und groß genug für reihenweise Soldaten. Es gab licht überdachte Terrassen auf beiden Seiten des Palastes, die auf Gärten hinausblickten. Lao Ma's Lieblingsterrasse, auf der wir oft saßen, lag gegen Süden und fasste einen knorrigen Kirschbaum ein.
Mit den Ställen und Gärten und seiner Armee von Dienern war alles ein bisschen wie der Haushalt eines griechischen Königs - mit einem bemerkenswerten Unterschied: die in der Dienerschaft am höchsten stehenden Männer waren kastriert. Lao Ma nannte sie Eunuchen und zuerst lachte ich aber dann erkannte ich sie als Männer, die ernst zu nehmen waren. Sie waren Schreiber und Wächter, Boten und Haushaltsverwalter. Sie waren in vielen mächtigen Positionen trotz ihres oftmals seltsamen Auftretens und ihrer unnatürlichen Stimmen. Einer von ihnen, Zheng Ha, war Lao Ma's Kammerdiener und oft an ihrer Seite. Er hatte eine weiche Stimme und einen weichen Körper und ging auf eine Weise, auf die kein Mann gehen sollte. Anfangs verabscheute ich ihn und dachte von ihm als nur einem halben Mann. Ich sprach selten mit ihm und fand es geschmacklos, daß es solch einem Mann erlaubt war, über den Haushalt zu wachen.
Du zeigtest wegen seiner Weichheit und Unterwürfigkeit Verachtung für Zheng Ha bis ich Dir erzählte, dass er Gewalt über den ganzen Haushalt hatte und nur für mich verantwortlich war. Seine Fügsamkeit war aus Weisheit geboren, aus dem Wissen heraus, dass Passivität am Hof oft Langlebigkeit bedeutete. Er bediente mich seit langer, langer Zeit und ich hätte ihm mein Leben anvertraut. Ich versuchte Dir nun schon so lange beizubringen, dass solche Nachgiebigkeit auch eine Quelle der Macht sein kann. Aber Härte war Deine Art und Dein Wesen, Xena, und das zeigte sich in allen Deinen Taten.
Erinnerst Du Dich an unser kleines Spiel, das Zerschmettern von Flaschen auf der Terrasse? Die Morgensonne ergoß sich von Osten, füllte den Raum mit Verheißung und Du warst neulich so von Ehrfurcht für alles erfüllt dass Du still wurdest und ich dachte es wäre an der Zeit Dir zu zeigen, was Stille vermag.
Du dachtest, ich hätte die Flasche mit reiner Willenskraft zerbrochen, mit Gewalt. Aber es verhielt sich genau umgekehrt. Es war kiung , was ich um das Gefäß aufbaute, die Leere, die die die Flasche dazu veranlasste, sich selbst zu zertrümmern, mit ihrer eigenen Energie. "Bring' mir das bei", sagtest Du, so blutrünstig dass ich lachen musste. Du warfst Deinen Willen mit solch einer Wildheit auf den Gegenstand, dass es war wie in einer Schlacht. Du warst noch immer im Krieg.
"Die Welt ist getrieben von Wollen", sagte ich und ermahnte Dich:" höre auf zu wollen, zu begehren, zu hassen. Andere zu überwinden bedeutet Macht. Sich selbst zu überwinden heißt das Tao zu kennen."
Aber es war zu früh. Du konntest Dich noch nicht beherrschen, Deinen Willen beruhigen. Es gab Zeiten in denen Dein Wollen so rasend war, dass ich Deinen jeweiligen Aufenthalt im Haus erspüren konnte. Dein Wille streifte mit Dir umher, grollend und gefräßig wie ein Tiger. Ich fühlte das und es zerstörte meinen Frieden, inspirierte aber auch meine Poesie. Während ich Dich und Deine Irrtümer betrachtete, lernte ich die Welt zu verstehen und schrieb in mein Großes Buch:
Der Himmel ist ewig und die Erde ist sehr alt.
Warum? Weil die Welt nicht für sich selbst besteht.
Der Weise beschließt, der letzte zu sein und so wird er der erste von allen.
Sich selbst verleugnend findet der Weise Erfüllung in Selbstlosigkeit.
Ich sagte das zu Dir aber es schien lange, so furchtbar lange zu dauern bis Du zu hören schienst.