Dank: Ich bin erfreut, dass so vielen von euch die Serie zu gefallen scheint. Eure Kommentare sind sehr freundlich und sehr willkommen. Besonderen Dank an Lisa und Inga, meine geduldigen und hart arbeitenden Betareaderinnen. So, wie die Geschichten angelegt sind, ist es am besten, man liest sie in der richtigen Reihenfolge.
Warnung: Diese Geschichten gehört zu den 'alternativen' FF. Bitte lest sie nicht, wenn ihr nicht das entsprechende Alter habt oder wenn solches Material an eurem Ende der Welt nicht legal ist.
Besondere Warnung: Die Einleitung der Geschichte basiert auf den Ereignissen vom November 1997 in Deir el-Bahari, Ägypten, wo 58 Ägypter und Touristen bei einem grausamen Terroranschlag ums Leben kamen. Einige der Leser könnten die Einleitung beunruhigend finden und möchten sie vielleicht lieber überspringen.
Anmerkung von jany_: Folgende Geschichte ist geistiges Eigentum von Anne Azel. Copyright zur Übersetzung liegt bei jany_. Kopien zur privaten Lektüre stehen frei, solange sämtliche Disclaimer erhalten bleiben. Veröffentlichung jeglicher Art, wie z.B. im Netz, erfordern jedoch die Zustimmung der Übersetzerin.
Feedback: ist jederzeit unter jany_@online.de willkommen.
Copyright © 2008 jany_
Egyptain Encounter
By
Anne Azel
a_azel@hotmail.com
Übersetzung von jany_
Teil 3
Die Frau namens Cheops Malone hatte sie und ihren Bruder mit zum Straßenmarkt genommen. Anfangs hatte Amand Angst gehabt, dass sie sie bei einem Händler zum Arbeiten zurücklassen würde. Zu ihrer Überraschung und Freude kaufte ihnen die wunderschöne Frau stattdessen Kleidung. Jeder von ihnen bekam 4 Outfits, zwei ägyptische und zwei europäische. Amand war sehr stolz auf und beeindruckt von Cheops Malone gewesen. Sie handelte hart und bekam gute Preise für ihre Kleidung. Sie war bekannt auf dem Marktplatz und die Leute gingen freundlich und respektvoll mit ihr um. Es machte Amand und Zahi stolz. Niemand hatte ihre Eltern jemals mit solchem Respekt behandelt. Während Cheops damit beschäftigt gewesen war Kleidung für Zahi auszusuchen, hatte sie hier auch von einem der Händler erfahren, dass Cheops hinkte, da sie einen künstlichen Fuß hatte. Der Händler hatte gesagt, dass ihr richtiger während des Anschlags in Deir el-Bahari abgetrennt worden war. Vielleicht war dies der Grund dafür, dass ihnen die blonde Frau half; vielleicht hatte sie ihre Eltern gekannt.
"Warum sind sie so nett?", hatte Amand auf Zahis Beharren hin gefragt.
"Will Kyrtsakas möchte, dass ihr diese Dinge bekommt. Wir werden uns darum kümmern, dass ihr ein gutes Zuhause bekommt und zur Schule gehen könnt", erklärte Cheops.
"Will Kyrtsakas und sie sind sehr nett. Mein Bruder und ich beten für sie und danken ihnen tausendfach. Immer wir werden dankbar sein."
Cheops lächelte und umarmte das ernste Kind. "Mach dir keine Sorgen Schatz, alles wird gut. Dafür werde ich sorgen."
Zurück an Bord warteten die beiden aufgeregten Kinder ungeduldig darauf, dass Will erwachte, so dass sie ihr für ihre Güte danken und ihr zeigen konnten, was Cheops für sie gekauft hatte. Amand erklärte der verwirrten Soldatin ausschweifend, wie stolz sie auf Cheops war. Will wand sich zur Erklärung an Cheops, nachdem sie anhand der Gestiken des Mädchen erkannte, dass sie über die Archäologin redete.
Cheops errötete. "Sie will dich wissen lassen, dass ich hart verhandle und dass mich viele Leute auf dem Markt kennen."
Wills Augen wanderten zu der kleinen blonden Frau hinüber, welche in ihrem grünen Gallabeeya gekleidet war. "Sag ihr, dass ich dich verhandeln gesehen hab."
Doch bevor Cheops übersetzen konnte, antwortete Amand bereits. "Sie ist gut sehr viel. Aber sie haben sie geschickt. Ich danke ihnen. Mein Bruder danken ihnen."
Will lächelte und streichelte Zahi, der dicht neben ihrem Bein stand, übers Haar. "Gern geschehen."
Cheops beaufsichtigte die Kinder, während sie ihre neuen Kleider anzogen. Dann verließen sie die Kabine erneut als Familie, um sich mit dem Rest der Gruppe zum Nachmittagsausflug zu treffen. Die anderen freuten sich über die beiden sauberen, ordentlich gekleideten Kinder, welche nun still hinter Wills langen Beinen warteten. Cheops sah, wie Will stolz hinunter reichte und beiden beruhigend über den Kopf strich und in ihrem Hals formte sich ein Kloß. 'Oh Will, nein, gewöhn dich nicht zu sehr an diese Kinder', betete sie.
Mit einem Lächeln, führte Cheops ihre kleine Gruppe die Gangway hinunter und die abgenutzten Steinstufen das Ufer hinauf zu dem dort wartenden Bus. Sehr zu Cheops Überraschung, trat Will neben sie und ergriff ihren Ellbogen, als sie mühselig ihren künstlichen Fuß die Treppen hinauf bewegte. Sie zögerte und blickte zu Will auf. "Du hast gesagt als Familie", erklärte die Kriegerin kalt und Cheops nickte, nicht sicher, was in Wills Kopf vorging.
Die Reisegruppe folgte Cheops mit vor Verwunderung weit geöffneten Mündern durch die Höfe und zerstörten Tempel von Karnac. Über ihren Köpfen ragten Säulen auf, deren Füße allein so groß waren wie Cheops. Die Kreuzdecken dieser massiven Gebilde waren am oberen Ende der Säulen auf schmalen Blöcken befestigt und ließen einen glauben, dass die Decke schwebte. Auf der Unterseite der großen Steinbalken, die vor Wind und Sonne geschützt waren, konnte man immer noch Überreste von farbenfrohen mysteriösen Wandmalereien sehen. Sie waren geisterhafte Abbilder der Arbeiten dieser verlorenen Zivilisation.
Die delikaten Hieroglyphen waren wie Noten, welche in rhythmischen Mustern die Wände und Säulen entlang flossen.
Cheops zeigte ihnen den riesigen heiligen Pool, den inneren Tempel mit seinem Altar und die versteckten Obelisken. Dann gab sie ihnen Zeit durch die Gegend zu wandern.
Will war ihr mit den Kindern gefolgt und hatte sich mit grimmiger Entschlossenheit an ihre Familienrolle gehalten. Sie hatte Cheops aufmerksam zugehört und die Kinder mit Versteckspielen belustigt oder ihnen interessante Szenen der Wandmalereien gezeigt.
Cheops beobachtete, wie sich ihre Gruppe zerstreute, bevor sie sich zu Will umdrehte. "Willst du die Kinder etwas hinter dem Tempel umher rennen lassen?"
Will nickte mit dem Kopf. "Gute Idee, Malone. Sie waren artig. Lassen wir sie etwas Energie verbrennen."
Cheops holte einen kleinen Gummiball, den sie auf dem Markt gekauft hatte aus ihrem Rucksack und reichte ihn den entzückten Kindern. Sie erklärte ihnen auf ägyptisch, wo sie ohne Gefahr spielen konnten. Amand lächelte glücklich, nahm ihren kleinen Bruder bei der Hand und führte ihn zum spielen zum Rand der Ausgrabungsstätte.
Cheops ergriff Wills Arm und führte sie durch den nah gelegenen Schutt, um ihr die Ruinen des Harems zu zeigen. Will legte den Arm um Cheops, um ihr zu helfen. Auf glatten Flächen war Cheops Hinken kaum zu bemerken, aber auf unebenen Flächen hatte sie echte Schwierigkeiten.
Will fragte sich, wie sie wohl an Ausgrabungsstätten zurecht kam.
"Kannst du die Schönheit dieser Wände sehen Will? Ist es nicht erstaunlich?!", begeisterte sich Cheops, deren Augen vor Freude funkelten.
Will lächelte ihrem eigenen Willen zum Trotz. Cheops war bewundernswert. Ihr Haar war goldenes Feuer in der Sonne und ihr hübsches Gesicht war von Leben erfüllt. 'Sie hat immer noch die Kraft, mich im inneren meinen Seins zu stimulieren', gestand Will sich ein. Das Lächeln verblasste. Sie würde aufpassen müssen, dass Cheops ihr Verlangen nicht dazu nutze, sie von ihrer Mission abzubringen.
"Weißt du was sie hier gefunden haben Will? Hunderte von Gedichtbüchern. Sie hatten Titel wie 'An meine wahre Liebe' oder 'An meine abwesende Liebe'. Aber nur ein kleiner Teil der Texte auf den Seiten hat überlebt. Ein flüchtiger Blick auf die wundervollen Seelen dieser antiken Menschen."
"Was für ein Teil war das?", fragte Will sanft, während sie Cheops in den Schatten zog, so dass sie nicht mehr von neugierigen Augen entdeckt werden konnte.
Cheops fuhr mit ihrer Hand Wills Brustkorb hinauf und hielt erst inne, als ihre Hand sanft auf den Schultern der großen Frau langen. "Weil ich dich geliebt habe, wie der starke Wind das zerbrechliche Schilf umarmt", sagte Cheops.
Will beugte sich hinunter, zögerte kurz und flüsterte, "Weil ich dich Malone geliebt habe, wie der starke Wind das zerbrechliche Schilf umarmt." Sie küssten sich und Will drückte Cheops hungrig gegen die Wand. Cheops erhob das Kinn und entblößte ihren weichen Hals für Wills Küsse.
"Du willst mich nicht töten Will. Du bist immer noch fähig zu lieben. Bitte versuch diesen warmen Fleck in deiner Seele zu finden. Vergiss deinen Hass, bevor du etwas tust, das du dein Leben lang bereuen wirst."
Will hielt inne. Ihre Arme verließen Cheops Körper. Sie blickte auf die kleine Archäologin runter, die zur Hälfte im Schatten verschwunden war. Für einen Moment sah man Verwirrung in ihren Augen, die sich jedoch gleich darauf entschlossen verhärteten. "Lust ist keine Liebe. Du hast unsere Kinder getötet", knurrte sie, bevor sie davon stürmte.
Cheops sah zu, wie sie davon ging und der Ärger ran über ihr eigenes Gesicht. Warum sollte sie sich bemühen Wills Seele zu retten? Sie schuldete dieser Frau überhaupt nichts! Heute Abend sollte in ihrem Apartment eine Email auf sie warten und wenn in dieser stand, dass sie Will den Behörden übergeben sollte, dann würde sie genau dies tun, bevor sie oder die Kinder verletzt wurden.
"Amand, Zahi, es ist Zeit zu gehen", rief sie in ägyptisch. Dann wartete sie darauf, dass die Kinder herüber gerannt kamen, so dass sie ihr helfen konnten, ihr Gleichgewicht in diesem unebenen Gelände zu halten.
Amand blickte mit besorgten Augen zu der schönen blonden Frau hinauf und dann in die Ferne wo die seltsame dunkel Frau im Schatten eines Tempels stand. Sie schienen sich nicht zu mögen und doch taten sie alles zusammen. Es machte einfach keinen Sinn. Sie und Zahi hatten darüber gesprochen und sie verstanden nicht, warum die beiden Frauen ihnen halfen oder was sie mit ihnen wollten. Ein Teil von ihr war sehr dankbar, aber der andere Teil fürchtete sich. Sollten sie Sklaven werden? Sie blickte zu dem blau rot weißen Ball den Zahi in der Hand hielt. Für eine Weile konnten sie glücklich sein. Das war gut. Aber sie hatte in ihrem kurzen, harten Leben gelernt, dass Freundlichkeit ihren Preis hatte.
Der Tag war gut verlaufen und die Gruppe unterhielt sich glücklich beim Abendessen. Selbst die Scotts waren geselliger als sonst. Cheops hatte für den Abend die Rückfahrt nach Karnac arrangiert, so dass die Gäste die Sound and Light Show sehen konnten. Da die Show ein geführter Spaziergang durch das Gelände war, wurde Cheops nicht mehr gebraucht nachdem sie die Karten besorgt und ihnen gezeigt hatte, wo sie den Bus für die Heimfahrt finden würden. Nachdem sie ihre Gruppe organisiert hatte, sagte sie gute Nacht und nutzte den freien Abend als Gelegenheit, um in ihr Apartment zurück zu kehren. Diese Reisen halfen ihr die Ausgaben zu decken, aber Cheops war in erster Linie Archäologin und gespannt darauf, wie es um ihre Ausgrabung stand, welche nun verlockend dicht auf der anderen Seite des Flusses lag.
Der nachmittägliche Zusammenstoß mit Will hatte sie reizbar und verbittert gemacht. Es war schwer mit den Erinnerungen an Deir el-Bahari und dem Verlusten leben zu müssen. So viele Verluste; ihre Tochter, Wills Sohn, ihr Unterschenkel und Wills Liebe. Zu viele Verluste, als dass eine Person alleine sie verkraften konnte ohne tiefe Wunden davon zu tragen, in welche Will nun auch noch beharrlich Salz hinein reiben musste.
Nun war da auch noch die Sorge um die Kinder. Will musste sie benutzen. Sie kannte Will; wusste, wie fixiert sie war, wenn sie im Einsatz war. Die Frau würde ihren Anschlag detailliert geplant haben; wie, wann, wo und sie würde auch Fluchtpläne haben. Es war unwahrscheinlich dass die Kinder eine impulsive Entscheidung waren. Sie mussten Teil von Wills Plan sein, nur wie?
Cheops ging die staubige Straße hinauf, während sie bekanten Leute grüßte. Sie hatte einen Gallabeeya an, eine lange, Robe mit Kapuze arabischer Herkunft. Dies War Cheops östliche Welt. Die andere Seite ihrer Existenz. Cheops war von britischen Eltern abstammend in Ägypten geboren und genoss das Privileg doppelter Staatsbürgerschaft. Da sie so einen großen Teil ihres Lebens an Orten, die am Nil lagen und im Haus ihrer Eltern in Gizeh verbracht hatte, war sie ebenso ägyptisch, wie ihr Aussehen englisch war. Will war auch ein Kind zweier Kulturen gewesen.
In diesem Sommer hatten sie ein Segelboot gemietet und waren mit den Kindern hinaus auf den Nil gefahren, um zu fischen. Will hatte die gefangenen Fische, gesäubert und Cheops hatte sie auf einem kleinen Holzkohlerost gekocht. Nachmittags hatten sich die beiden Kinder beim baden abgekühlt, während die Erwachsenen zusahen.
"Wie kommt es, dass du einen griechischen Namen hast?", hatte Cheops gefragt, während sie mit der Fingerspitze unbewusst Wills Hand streichelte, die neben ihrer eigenen ruhte.
"Mein Vater war ein griechischer Widerstandskämpfer und meine Mutter war am Ende des Krieges als englischer WAC im befreiten Griechenland stationiert. Mein Vater hat immer gesagt, dass er Hitler widerstehen konnte, nicht jedoch meiner Mutter! Sie haben mir erzählt, dass es Liebe auf den ersten Blick war."
Cheops hatte all ihren Mut zusammen genommen und sanft geantwortet: "Ich kenne das Gefühl."
Diese himmelblauen Augen hatten sich in ihre Richtung bewegt. "Ja, das tue ich auch. Ich liebe dich Cheops", hatte Will geantwortet und Cheops damit weit mehr gegeben, als sie erwartet hatte.
Cheops hatte ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht gehabt und ihre Augen hatten wie Smaragde gefunkelt. "Ich liebe dich auch Will."
Cheops schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben, als sie das der Regierung gehörende Wohnhaus betrat und mit dem Fahrstuhl in den sechsten Stock fuhr. Das Apartment, was sie betrat, war schlicht. Es war offiziell die Behausung des Chefarchäologen der Ausgrabungsstätte KV5. Die Wände waren aus Schlackenbeton und es gab nur drei Räume: ein Bad, ein kleines Schlafzimmer und das Hauptzimmer, das als Abstellkammer und für die Forschung genutzt wurde. Der Platz wurde von drei behelfsmäßigen Tischen ausgefüllt. Zwei waren mit den Bestandteilen eines Archäologenlabors belegt und auf dem dritten stand Cheops Computer.
Ohne sich die Mühe zu machen das Licht einzuschalten, ging sie hinüber und setzte sich. Sie drückte den Einschaltknopf und wartete, dass der Computer hochfuhr. Dann öffnete sie ihre Emails und klickte auf die von Leeds, in der stand:
Cheops,
verschwinde von dort! Du befindest in großer Gefahr! Leute, die an schwerer von Drogen verursachter Geistesstörung und/oder den Nachwirkungen von Folter leiden, können zutiefst psychopatisch sein. Es könnte gut sein, dass du es mit einem Killer zu tun hast! Folgende Symptome wären möglich: Gelenkschmerzen, Rückblenden, Anfälle, Kopfschmerzen, Orientierungslosigkeit, undeutliche Sprache, Gleichgewichtsstörungen, Verwirrung, akute Paranoia, Persönlichkeitsveränderungen, Gewalt und andere anti-soziale Verhaltensweise. Ich rate dir, zu verschwinden und die Behörden zu rufen, sodass diese sich um das Individuum kümmern.
Roger
Cheops Gesichtszüge verhärteten sich. Um ihr eigenes Leben zu retten und die Kinder zu schützen, würde sie Will an die Polizei verraten müssen. Sie glaubte nicht, dass es helfen würde. Die Polizei würde nicht genug Macht oder Ressourcen haben, um mit einer verrückten Touristin fertig zu werden. Aber es war einfach Fakt, dass sie nicht mehr sonderlich viele Möglichkeiten hatte. Will's Verhalten wurde immer irrationaler und unberechenbarer.
Der heutige Tag hatte sie gelehrt nicht an die sanften Momente zu glauben. Sie schienen immer von emotionaler Gewalt gefolgt zu werden.
Sie spürte sie mehr, als dass sie sie hörte. Wann immer Will in der Nähe war, fing die Energie in der Luft an zu schwanken. Cheops drehte sich im Stuhl um. Eine schwarz gekleidete Figur zeigte sich als Silhouette in der offenen Balkontür. Von einer Hand baumelte eine Garotte.
Erkenntnis rauschte über Cheops hinweg. Ihr Mord würde wie ein Einbruch aussehen. Will würde wieder auf dem Schiff sein und die schlafenden Kinder hüten. Das perfekte Alibi. Wirklich tragisch was da mit Cheops passiert war! Sie stand auf, straffte ihre Schultern und blickte dem Tod ins Gesicht.
Die Tür klapperte, als ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Cheops drehte sich, um zur Tür zu schauen. Inge! Ihr Herz raste vor Angst um ihre Assistentin, die unwissend in eine Todesfalle laufen würde. Cheops blickte mit flehenden Augen zurück zu ihrer Mörderin, aber die Stelle wo sie gestanden hatte, war leer. Der Vorhang flatterte sanft im Nachtwind.
"Cheops! Du hast mich erschreckt! Was machst du im Dunkeln im Labor?! Cheops? Fehlt dir was?!"
Cheops plumpste in den Stuhl und legte ihren Kopf auf den Tisch.
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Am Heck des Schiffes befand sich eine weite Plattform ohne Geländer, die die Crew benutzte um Fracht zu verladen. Dort hin ging Will. Sie setzte sich und ließ ihre Füße vom Rand baumeln, während sie hinaus in die Dunkelheit blickte. Hinter dem dunklen Streifen, den der Nil bildete, konnte sie die alte Klippe sehen, deren Silhouette sich vom sternenbedeckten Himmel abhob. Die Klippe war von zwei Tiefen Canyons durchzogen, in denen das Tal der Könige und das der Königinnen lagen. Dort lag Deir el-Bahari.
Sie war nie wieder dort hin zurückgekehrt. Sie fragte sich, ob Cheops zurückgegangen war. Es musste schwer für die Archäologin sein, nur eine schmalen Bergrücken entfernt von dem Ort, an dem ihre Kinder gestorben waren, zu arbeiten.
Diese Nacht war viel Zeit gewesen, um Cheops zu töten. Es war genug Zeit für sie gewesen, um aus ihrem schattigen Versteck auf den Balkon zu schlüpfen und nahe genug an Cheops heran zu treten, so dass sie das auf den Bildschirm geschriebene über ihre Schultern lesen konnte. Sie hatte die Garotte mit beiden Händen straff gezogen. Es wäre so leicht gewesen.
Stattdessen war sie leise zurückgewichen, bis das flatternde Geräusch des Vorhangs, welches durch einen plötzlichen Windstoß entstanden war Cheops auf ihre Anwesenheit aufmerksam gemacht hatte. Das Klopfen an der Tür hatte ihr die Zeit gegeben, die sie brauchte, um ohne Konfrontation zu entkommen. Es wäre der perfekte Mord gewesen! Sie hatte ihn monatelang geplant, während sie in großen Schmerzen gelegen hatte. Die Schlampe verdiente es zu sterben! Warum zum Teufel hatte sie sie nicht getötet?!
Eine wackelige Hand wischte über ihr Gesicht. Diese Nacht schmerzten ihre Gelenke. Der Schmerz fühlte sich gut an. Er war die Strafe dafür, dass sie zu Cheops Apartment hinaufgeklettert war, ohne den Mut zu haben ihr den Garaus zu machen. Vielleicht hatte sie ja die Tatsache, dass sie das Apartment nach so langer Zeit erneut betreten hatte, aus der Fassung gebracht.
"Hier wohnst du?!", hatte sie gefragt, während sie in einen Karton mit Styroporschnipseln geguckt hatte.
"Selbst die Artefakte haben einen besseren Schlafplatz!"
Cheops hatte gelacht und war herüber gekommen und mit der Hand über Wills Brustkorb gefahren, wie sie es schon früher an diesem Tag getan hatte. "Warum sollte es dich stören, dass mein Bett aus einer auf dem Boden liegenden Matratzen besteht?"
"Vielleicht habe ich gedacht, dass ich es gerne ausprobieren würde", hatte Will sie herausgefordert, wobei sich ihre Augen auf Cheops fixiert hatten, wie eine Rakette, die ihr Ziel suchte.
"Vielleicht schlafe ich ja lieber alleine", hatte sie gestichelt.
"Du wirst nie wieder alleine sein", hatte Will aufreizend gemurmelt und Cheops' Ohr und Hals liebkost, während sie sagte: "Wir sind eins. Unsere Verbindung ist für die Ewigkeit!"
Tränen rannen Wills Gesicht hinab und sie wischte sie verärgert weg. Es hätte ewig dauern sollen. Sie hätten doch zusammen alt werden und ihre Kinder zusammen aufwachsen sehen sollen. Verdammt! Verdammt Cheops! Warum musste sie unsere Kinder in ihren Tod führen?
Sie hatte die Email gelesen, welche sagte, dass sie gefährlich sei. Es waren Wörter wie Geistesstörung und psychopatisch drin vorgekommen. War sie verrückt? War sie doch an der Folter zerbrochen? Ein Bruch so tief in ihrer Seele, dass ihn niemand außer Cheops erkennen konnte. Würde sie es bereuten, falls sie Cheops tötete? Falls?! Wann hatte sich dieses Wort in ihren Plan geschmuggelt? Falls. Verdammt.
Cheops schlief in dieser Nacht auf Inges Couch. Nun, eigentlich hatte sie nicht geschlafen, da sie viel zu angespannt war, obwohl sie nachdem die Polizei gegangen war erschöpft gewesen war. 'Ja gnädige Frau, man verstand das Problem, aber wenn sie das Gesicht des Einbrechers nicht gesehen hatte und niemand die Drohungen bestätigen konnte, würde man wenig für sie tun können. Will war Britin und nicht ihr Problem. Sie würden sie am nächsten Tag zur Befragung aufs Revier bestellen und sehen, was sie tun könnten. Außerdem würden sie dafür sorgen, dass die Kinder in ein Weisenheim gebracht würden.'
Cheops starrte die gerissene Putzdecke an. 'Ich habe Will erneut verraten.' Und wieder einmal hatte Wills Hass ihre Liebe verraten. Es war ein Teufelskreislauf, der nur ins Verderben führen konnte.
Am nächsten Tag sammelte Cheops ihre Gruppe nach dem Frühstück um sich, bevor sie den Bus bestiegen, der sie die Luxorbrücke überquerend zum Tal der Könige auf der anderen Seite des Flusses bringen würde. Will hatte dafür gesorgt, dass die Kinder angezogen und satt waren, bevor sie die beiden bei Cheops im vorderen Teil des Busses gelassen hatte. Blass und zitternd ging Will zum Ende des Busses, wo sie sich ruhig hinsetzte und den Kopf gegen das Fenster lehnte.
Die Fahrt war ziemlich lang, da sie erst den Fluss hinunter, dann über die Brücke und dann wieder nordwärts fahren mussten, bevor sie landeinwärts in Richtung Tal der Könige abbogen. Die Gruppe stieg leise aus dem Bus. Dies war ein legendärer Ort und obwohl überirdisch wenig zu sehen war, erfüllte die Kraft dieses heiligen Ortes ihre Herzen mit Ehrfurcht.
Das Gelände war steinig und trocken; eine stille Öde nur vom schmerzgeplagten Winseln des Windes durchdrungen. Eckige Steintunnel markierten die Eingänge der berühmten Gräber. An jedem befand sich ein schmiedeeisernes Tor, welches über Nacht geschlossen und verriegelt wurde. Nicht, dass es noch etwas zu stehlen gab. Altertümliche Grabräuber und Sammler hatten Ägypten schon vor langer Zeit um seine Herkunft gebracht. Nun konnten die Touristen nur noch die schattigen Überreste sehen, die in Fresken auf den Grabwänden verewigt waren.
Cheops führte sie durch das Grab von Ramses II und einige andere in der Nähe liegende Grabmale. Sie nahm sie mit die langen abfallenden Flure zu den tiefen Schachten hinunter, in denen die Sarkophage lagen. Auf dem Weg zeigte sie ihnen die falschen Korridore und Fallen, welche die Grabräuber auf ihrer Beutesuche überwinden mussten. Sie hielt neben einer auf eine Wand gemalten Szene an und ließ die steifen Figuren lebendig werden, indem sie ihre Geschichten erzählte.
"Dies sind Ramses und seine Braut in einem Boot, während sie Wasservögel am Nilufer jagen. Wie sie sehen schmiegen sie sich an die Zierlotusblätter, dem Symbol ewigen Lebens. Sehen sie, wie stolz er vor seiner Schwester und der Königin prahlt, während er mit dem juwelenbesetzten und vergoldeten Bogen und Pfeilen auf die Enten schießt. Seine Königin greift in Liebe und Verehrung nach ihm. Sie müssen einen besonderer Tag miteinander verbracht haben. Er muss angeordnet haben, dass dies hier zwischen seinen Kriegen und Taten gemalt wird. Ich frage mich, ob seine unsterbliche Seele immer noch durch die Nacht wandert und hier anhält, um diesen Tag erneut zu erleben. Er muss sie sehr geliebt haben."
'So wie der starke Wind das zerbrechliche Schilf umarmt, Malone', dachte Will, während sie am Ende der Gruppe folgte und Cheops beobachtete, welche mit ausdrucksstarkem Gesicht und leuchtenden Augen leise den Kindern ihre stolze Herkunft erklärte.
Zuletzt führte Malone sie durch das Grab von König Tutenchamun. Früher an diesem Tag hatte sie ihnen das Haus von Howard Carter gezeigt, welches sich auf einem hohen Tafelberg unterhalb des Tals der Könige befand. Sie hatte seine erstaunliche Geschichte erzählt und über die so genannten Flüche gelacht, die die Boulevardpresse seinen Entdeckungen angedichtet hatte.
"Nein, Carter ist nicht auf Grund eines mysteriösen giftigen Bisses gestorben! Er starb durch einen einfachen Moskitobiss, welcher sich entzündet hatte. Infizierte Wunden waren zu jener Zeit eine weit verbreitete Todesursache. Bedenken sie, dass Antibiotika erst wesentlich später erfunden wurden. Carter war bereits durch Malaria und Durchfall geschwächt, so dass sein Immunsystem nicht in der Lage war, sich gegen die Infektion zu wehren. Es tut mir leid. Ich weiß, dass die Leute Rätsel und Flüche mögen, aber ich fürchte, dass Archäologie nur aus harter, peinlich genauer, ermüdender Arbeit besteht." Cheops beantwortete die letzten Fragen, als sie den Eingang von KV5 erreichten. "Hier arbeite ich momentan. Dies ist das berühmte KV5. Es wurde erst 1995 entdeckt. Eigentlich eher wieder entdeckt. Der Forscher James Burton hat seine Existenz bereits 1825 erwähnt. Wir wissen, dass er das Grab untersucht hat, da er eine Karte angefertigt hat. Er hat seinen Namen mit dem Rauch seiner Kerze an die Wand in der von Säulen getragenen Halle geschrieben. Man kann es immer noch recht gut lesen; Burton 1925."
"Das Grab war aus zwei Gründen verschollen. Zum einen dachten die Archäologen, die in dieser Gegend arbeiteten, dass es ein unfertiges Grab und somit unwichtig war. Zum anderen werden sie feststellen, dass Tut's Grab in angenehm geringer Entfernung liegt. Wir haben ein Bild von Carter aus dem Jahre 1922, auf dem er seinen Gästen zutoastet, während sie ihr Mittagessen in einem unvollendeten Grab in der Nähe von Tut's Ausgrabungsstätte zu sich nehmen. Wir denken, dass dies jenes Grab sein könnte. Das amerikanische Team, dass die Ausgrabungsstätte wieder entdeckt hat und die Ausgrabung überwacht, hat ein Weinglas gefunden, welches unter Geröll in der Nähe des Eingangs vergraben war. Es könnte durchaus ein Überbleibsel von Carters berühmten Mittagessen sein!"
Cheops deutete auf den hinter ihnen liegenden Eingang von Tuts Grab. "Wir glauben, dass Carter den Abfall seiner eigenen Ausgrabung in das, was er für eine günstig gelegene leere Grube hielt, gekippt hat! Wir wissen mittlerweile, dass es sich in Wirklichkeit um eine geräumige Grabstätte handelt, welche mit den Söhnen von Ramses II in Verbindung gebracht wird. Es tut mir Leid, dass ich sie nicht hinein führen kann, aber es ist wegen der Einsturzgefahr noch nicht für die Öffentlichkeit zugängig. Das Dach ist durch die schweren Touristenbusse, die früher bis hier vor gefahren sind schwer beschädigt. Außerdem sind die Kammern voller Geröll."
"Hallo Will", kam eine Stimme von rechts. Will löste ihre Aufmerksamkeit von dem, was Cheops gerade erzählte und blickte zu einer zierlichen Frau hinunter.
"Hallo Inge, lange nicht gesehen."
"Ja das stimmt."
Will schaute zurück zu Cheops, welche auf der anderen Seite der Gruppe stand. Ihr fiel es aus irgend einem Grund schwer Inge in die Augen zu blicken. "Ähm ich habe gehört, dass du für Cheops da warst... nachdem..."
Will sah zu ihren Füßen hinunter.
"Jemand musste für sie da sein", kam die bittere Antwort.
Will nickte, ihre Kiefermuskulatur zuckte vor Anspannung. "Danke", flüsterte sie so leise, dass sich Inge nicht sicher war, ob sie es wirklich gehört hatte.
"Inge! Komm mal bitte her!", rief Cheops lächelnd, als sie ihre schlagfertige Assistentin entdeckte. "Meine Damen und Herren, dies ist meine Assistentin, Dr. Inge Gardener. Sie wird mit ihnen den Agatha Christie Pfad überqueren, um Deir el-Bahari und den Tempel von Hatshepsut zu besuchen. Während sie dies tun, werde ich nachsehen, wie die Grabungen vorankommen. Falls etwas neues gefunden wurde, werde ich es ihnen zeigen, wenn sie zurück kommen."
Cheops drehte sich um, um auf ägyptisch mit den beiden Kindern zu reden. "Unser Fahrer, Fekri Hawass muss zurück nach Luxor, um den Bus warten zu lassen. Er hat gesagt, dass er euch mit nehmen und Eiscreme kaufen würde, während ich arbeiten muss. Würde euch das gefallen?"
Zahi strahlte und sah seine Schwester mit flehenden Augen an. Amand legte beschützend ihren Arm um seine Schulter. "Danke Cheops Malone. Das würde uns sehr gefallen. Wir möchten nicht nach Deir el-Bahari gehen und Eiscreme ist sehr gut." Cheops fühlte mit dem kleinen, ernsten Mädchen, welches schon so viel durchgemacht hatte. Sie umarmte beide, bevor sie sie dem väterlichen Fekri übergab, welcher sie zum Bus führte.
Betty schubste den langmütigen Abe. "Guck mal, ob du nicht einen der versteckten Schätze finden kannst", befahl sie mit einem Lächeln.
Abe spottete: "In meinem Alter brauche ich die ganze Energie allein schon um den Pfad hinauf zu kommen, Frau! Finde dein Gold doch selbst!"
"Komm Betty", lachte Jean und verlinkte ihren Arm mit dem der New Yorkerin. "Wir werden voraus gehen, so dass uns die Männer nicht aufhalten!"
Mit vielen Glossen und Witzeleien machte sich die Gruppe mit Inge an der Spitze auf den Weg. "Ich könnte ja hier bleiben und helfen, wenn sie wollen Cheops", kam das schmierige Angebot von Bob.
"Nein", antwortete Cheops steif und drehte sich von ihm weg.
"Hey, sie behandeln mich besser richtig oder..."
"Oder was?", kam ein eisiges Knurren von hinter ihm. Bob drehte sich herum und stand Willy Kyrtsakas gegenüber, die ihn mit gletscherfarbenen Augen und verschränkten Armen ansah.
"Ich glaube ich gehe besser", murmelte er, bevor er lostrabte, um die anderen einzuholen.
Will drehte sich herum und blickte in Cheops traurige Augen. "Ich verstehe dich einfach nicht mehr Will", sagte sie.
Will nickte und blickte auf ihre Füße hinunter, welche den losen Sand zu einem kleinen Berg zusammen schoben. "Gehst du jemals dort hin?"
"Jedes Jahr um Blumen nieder zu legen. Viele Leute machen das. Außerdem pflege ich ihr Grab."
"Wo hast du Amand und Zahi hingeschickt?"
"Ich dachte, dass es unnötig wäre sie mit nach Deir el-Bahari zu schicken. Fekri ist mit ihnen zum Eis essen nach Luxor gefahren."
Will nickte erneut in Richtung Boden. Dann straffte sie ihre Schultern und machte sich ohne ein Wort auf den Weg durch das Tal, hinüber zu dem Pfad, der über die Bergkuppe ins Tal der Königinnen führte. Cheops beobachtete, wie sie davon ging. Ein Teil von ihr war erleichtert, dass Will sie alleine ließ. Ein anderer jedoch brannte darauf ihr zu folgen.
"Dr. Malone, wir haben die Untersuchung der Halle mit den sechzig Säulen abgeschlossen."
"Komme", rief Cheops über ihre Schulter, bevor sie sich umdrehte und ihrer Mannschaft untertage anschloss. Es war schwer sich mit der Prothese in der Höhle zu bewegen. Oft musste sie an niedrigen Stellen krabbeln und sich mit Hilfe ihrer Arme vorwärts bewegen. Dort, wo der Boden holprig, aber die Decke hoch genug war, behalf sie sich oft mit einem Spaten. Wenn die zu untersuchenden Höhlen sehr enge Stellen aufwiesen, nahm sie das Bein einfach vollständig ab.
*********
Will ging zum Rand der Bergkuppe, bevor sie anhielt. Sie drehte sich um und blickte in den schmalen Canyon hinunter. Er war mit Touristen gefüllt, welche begierig darauf waren, die verschiedenen Grabstätten zu besuchen. Sie stellte fest, dass Cheops sie noch vor der morgendlichen Öffnung her gebracht haben musste. Sie drehte sich erneut und ging weiter. Drei Schritte bevor sie abermals stoppte. Sie hatte keine Angst davor, an den Ort zu gehen, an dem ihr Sohn gestorben war. In ihrer Kariere hatte sie gelernt mit dem Verlust von Kameraden umzugehen. Dieser Ort konnte ihr nichts tun, anders als die Erinnerungen, welche sie die ganze Zeit begleiteten.
Aber warum wurde sie dann von etwas zurück gehalten? Irgend ein ungutes Gefühl in ihrem Bauch. Sie fand ein schattiges Plätzchen und setzte sich. Sie musste nachdenken. Sie zog eine Wasserflasche aus ihrer Gürteltasche und nahm einen tiefen Schluck, bevor sie sie zurück steckte. Für lange Zeit saß sie da, aber sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Während sie ruhig dort saß, fühlte sie sich, als würde sie eine Verwandlung durch machen. Es ermüdete sie. Sie sollte sich eigentlich bewegen, Entscheidungen treffen, irgend etwas tun, statt einfach nur dort zu sitzen, nicht länger sicher, wer sie war oder wer sie sein würde.
Es war an sich kaum zu hören. Weder ein Grollen noch ein Knall, ehr eine Art Zischen, wie Luft, die aus einem gigantischen Ballon entwich. Will blickte auf und sah wie eine Staubwolke aus dem Eingang des KV5 schoss und über den Besuchern ausbreitete. Diese waren nun geisterhafte Gestalten, welche in Mitten des kleinen Staubsturmes schrieen und husteten. Will erhob sich langsam und betrachtete die Szene, die sich wie ein Actionfilm vor ihr entfaltete. Dann stürmte sie wie ein Football Spieler durch die Wand aus Touristen und durch den Eingang. Nach Luft schnappende, hustende Arbeiter stolperten heraus und fielen mit roten, tränenden Augen zu Boden. Die Arbeiter, die draußen gearbeitet hatten, ergriffen Wasser und Lappen und begannen den am Boden liegenden zu helfen.
Will griff sich einen Notfallrucksack von der Wand, holte eine Gasmaske heraus und zog sie über. Dann nahm sie sich eine Taschenlampe und betrat das einstürzende Grab. Zwei geschwärzte Gestalten stolperten an ihr vorbei. Sie ließ sie gehen, da sie den Ausgang alleine erreichen würden. Ein Teil der elektrischen Beleuchtung war noch intakt und warf gelbe Lichtkegel in die graue Staubwolke. Dennoch konnte man kaum etwas erkennen.
Nur der erste Raum war in nennenswertem Ausmaß geräumt. Danach musste Will auf dem Bauch durch den zweiten Raum und weiter bis zu der Halle mit den sechzehn Säulen krabbeln. Die Spitzen der Säulen ragten heraus, wie einsame Wachen, welche eine verlorene Grenze bewachten. Einige der tonnenschweren, quadratischen Dachblöcke waren gefallen. Will krabbelte um sie herum, wie ein Slalomfahrer, bemüht nicht an die tonnenschweren Steine zu denken, welche sich nur wenige Zentimeter über ihrem Kopf befanden. Nachdem sie sich durch die nächste Kammer gezwängt hatte, rutschte sie auf scharfkantigen Kalksteinsplittern in einen Raum hinunter, welcher kaum Trümmer enthielt. Dort fand sie Mohammed im sich absetzenden Staub. Obwohl seine Atmung schwach war und er Dreck und Schleim hustete, war er bei Bewusstsein. Will spritze etwas Wasser über sein Gesicht und in seinen Mund, bevor sie sein Gesicht, so gut wie es ging, sauber wischte. Sie zog eine Maske über sein Gesicht und ließ ihn für das Rettungsteam zurück, welches nicht allzu weiter hinter ihr war.
Sie fand Cheops teilweise unter Kalksteinsplittern vergraben am entfernten Ende der Kammer. Ihr Körper war schlaff. Will horchte nach dem Herzschlag und war erleichtert zu hören, wie er nach dem Adrenalinstoß immer noch schnell schlug. Sanft wusch sie das Gesicht der anderen Frau und entfernte den Dreck von ihren Augen und der Nase. Cheops stöhnte und Will benetzte ihre Lippen mit Wasser. Eine Hand wischte über ihr Gesicht, während sie hustete. "Wasser", fragte Cheops würgend. Will goss etwas Wasser in ihren Mund. Die Archäologin spülte ihre Mund und spuckte es wieder aus. Dann nahm sie die Flasche aus Wills Hand und nahm einen großen Schluck, welchen sie gleich darauf wieder erbrach.
Will nahm eine Maske aus der Tasche und zog sie Cheops über. Dann benutzte sie ihre blutigen Hände, um Cheops zu befreien. Cheops lag still, aber nahm von Zeit zu Zeit die Maske ab, um etwas zu trinken. Sie fühlte sich benommen und ihr war schlecht und sie wollte einfach nur, dass der Schmerz in ihrer Brust verschwand. Bald zeichneten sich Gestalten im Nebel ab, bevor Cheops vorsichtig hoch gehoben und auf eine Trage geschnallt wurde, obwohl sie heiser darauf bestand, dass sie ok sei. Langsam bewegte sich die Gruppe zum Ausgang, wobei Will an Cheops Seite blieb und sich fragte, warum sie zu ihrer Hilfe geeilt war.
Als sie den Eingang erreichten, wurden sie vom Tageslicht geblendet. Die Ordnung war wieder hergestellt worden und bis auf die neugierigen Blicke vorbeigehender Touristen, welche auf dem Weg zu den weiter oben im Canyon befindlichen Gräbern waren, war alles wieder beim Alten. Niemand schien ernsthaft verletzt zu sein. Nur die in der Höhle Überraschten hatten Schnittwunden und Prellungen und litten auf Grund des Staubes in ihren Lungen an asthmatischen Anfällen.
Cheops saß auf einer Holzkiste und hustete Instruktionen. Sie hatte eine fiese Prellung und eine Beule an ihrer rechten Schläfe, aber bestand darauf, dass sie in Ordnung war. Will hatte zurückgestanden und ruhig mit besorgten Augen zugesehen. Auch sie hatte viele Kratzer und sie hatte wieder den chemischen Geschmack im Mund, der sie vor einem erneuten Drogenrausch warnte. Ihre Gelenke pulsierten und ihr Kopf schmerzte schrecklich. Langsam setzte sie sich auf den Boden und ließ ihren Kopf auf ihre Knie sinken.
"Madame, sie sind Major Wilhelminia Kyrtsakas?"
Will blickte mit verschwommenen Augen auf, wobei sie sich sehr desorientiert fühlte. "Ja", lallte sie ein Paar marineblaue Polizeihosen an.
"Ich habe hier einen Haftbefehl für sie. Ich soll sie zur Befragung ins Hauptquartier in Luxor bringen. Sie stehen bitte auf und stellen sich der Felswand gegenüber."
Will blickte überrascht auf und versuchte das Gesicht des Polizisten anzuvisieren. "Was habe ich getan? Wie lautet die Anklage?", brachte sie mit einigen Schwierigkeiten heraus.
"Dr. Cheops Malone hat sich beschwert, dass sie gedroht haben sie zu töten. Sie werden bitte aufstehen und sich zur Wand drehen."
Will nickte geschockt und zog sich langsam auf die Beine. Sie drehte sich um und legte ihre Hände gegen die Wand, so dass der Polizist sie abtasten konnte. Dann wurden ihre Arme schmerzhaft nach hinten gedreht und sie wurde in Handschellen gelegt. Als sie sich umdrehte, trafen ihre Augen auf Cheops, welche am Eingang des Grabes saß. Die grünen Augen zeigten Schmerz und Sorge. Das unschuldige Gesicht war von dreckigen Streifen bedeckt und auf Grund der angestauten Emotionen angespannt.
Cheops hatte mit Schrecken gesehen, wie der junge Polizist einen ihrer Arbeiter befragt hatte, bevor er zu der auf dem Boden sitzenden Will gegangen war. Sie starrte entsetzt, wie Will nach Waffen durchsucht und in Handschellen gelegt wurde. Die große Frau drehte sich herum und fasste Cheops fest ins Auge. Das blau war stumpf, leblos; das Gesicht eine leere Fläche ohne jegliches Gefühl. Der junge Polizist zog an Wills Arm und sie drehte sich wie ein gehorsames Kind um und folgte ihm zu seinem Auto. 'Mein Gott, was habe ich getan?!', stöhnte Cheops innerlich.
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Inge hatte an der Mauer 200 Yards hinter den äußeren Höfen von Hatshepsuts Tempel gehalten. Sie hatte Cheops Gruppe von der architektonische Bedeutung dieses Ortes unterrichtet und von der mächtigen Pharaonin erzählt, welche sich nach dem Tod ihres Mannes selbst gekrönt und in Statuen und Bildern oft mit Bart dargestellt hatte. "Das Grab ihres ersten Ministers ist gleich dort drüben", erklärte Inge. "Wir wissen von Gemälden, dass er Hatshepsut und ihren Kindern sehr nah stand. Die nahe Lage seines Grabes unterstützt die Vermutung, dass ihre Beziehung mehr umfasste als nur das Regieren des Reiches."
Danach hatte sich die Gruppe auf den Weg gemacht, die Grabstätte zu betrachten. Inge betrat das Gelände nur in Cheops Begleitung. Keiner der Führer ging dort hin. Respekt, Aberglaube, seelischer Schmerz, es gab eine Menge Gründe, warum diese Praktik nach der Schießerei begonnen hatte. Es war nie diskutiert worden. Die Führer waren einfach in stiller Übereinstimmung nie wieder dort hin gegangen.
Am Tag nach dem Attentat begannen die Touristen fern zu bleiben. Die Ägypter waren mit Schildern auf und ab gelaufen, auf denen stand: 'Die Terroristen waren keine Ägypter! Touristen bitte geht nicht, wir lieben euch!' aber die Touristen waren gegangen. Deir el-Bahari war bereits am nächsten Tag wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Arbeitercrews hatten das Blut von den Steinen geschrubbt und die Einschusslöcher verputzt. Unter den Augen einiger mutiger Touristen hatten sie die verloren gegangenen Teile der altertümlichen Fresken übermalt.
Sicherheit wurde jetzt groß geschrieben. Tourbusse wurden bewacht, an allen Toren wurden Metalldetektoren eingesetzt und manchmal wurden den Touristenbussen bewaffnete Eskorten bei Seite gestellt. Aber es half alles nichts. Die Besucherzahlen waren um 2 Millionen zurück gegangen. Tausende waren arbeitslos; Armut und Sorge füllten die alten Straßen. Die ägyptische Bevölkerung würde sich in den nächsten 10 Jahren verdoppeln. Das Land stand am Rande einer Katastrophe. Und all das auf Grund von fanatischen religiösen Lehren. Inge seufzte. Sie hatte, genau wie Cheops, gelernt dieses Land zu lieben und ihr Herz brach angesichts des ganzen Schmerzes. Es war ein Schock gewesen, Will erneut zu sehen. Sie war so blass und dünn. Erst als die blauen Augen auf Inge gerichtet waren, hatte sie den tierischen Magnetismus gespürt, welcher die Frau gleichzeitig faszinierend aber auch Furcht einflößend erscheinen ließ. Sie war lediglich eine junge Absolventin gewesen, als Cheops und Willy zusammen gewesen waren. Anfangs war sie vom Verhalten ihrer Chefin geschockt gewesen. Später jedoch hatte die Liebe der Beiden sie umgestimmt. Die beiden Frauen und ihre Kinder waren in dieser Saison unzertrennlich gewesen. Danach war sie sich nicht sicher, ob sich Cheops jemals wieder erholen würde. Dies waren die Monate der Dunkelheit, an die sie nicht allzu lange denken wollte. Sie hatte versucht Cheops dabei zu helfen den Schmerz und die Trauer zu überwinden.
Jetzt war Willy zurück, um sich zu rächen. Cheops hatte ihr in der vergangenen Nacht erzählt, was vor sich gegangen war. Es war Inge gewesen, welche Cheops ermutigt hatte, wie empfohlen die Polizei einzuschalten. Sie hatte Willy in den alten Tagen mögen gelernt, hatte aber dennoch immer etwas Angst vor ihr. Willy hatte sich selbst als eine der britischen Botschaft angehörige Sicherheitsbeauftragte bezeichnet. Dennoch brauchte man sich nur für kurze Zeit in ihrer Begleitung befinden, um zu wissen dass sie noch einiges mehr war. Da war etwas nicht ganz menschliches um Willy, etwas wildes, gefährliches und schönes. Einzig und allein Cheops schien in der Lage zu sein, diese turbulente Persönlichkeit zu kontrollieren. Cheops hatte keine Angst vor Willy... bis jetzt.
Inge war froh zu sehen, dass die Gruppe sich sammelte. Sie war besorgt, dass Willy sie nicht begleitet hatte und bestrebt so schnell wie möglich zu Cheops zurückzukehren. Sicherlich würde die Soldatin an so einem öffentlichen Ort nichts versuchen? Sie hoffte, dass die Polizei wie versprochen gekommen war. "Sind Sie alle bereit sich auf den Rückweg zu machen?", fragte Inge fröhlich. "Ist dies nicht ein schöner Ort? Kommen Sie, hier entlang. Ich werde Ihnen mögliche Fragen gerne auf dem Weg beantworten."
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Die Gruppe drängte besorgt und voller Fragen vorwärts, als sie Cheops verschmutzt und blutend vor der Grabstelle stehen sahen. Inges erste Reaktion war, sich nach Willy umzusehen. Cheops sah den verärgerten Blick und erklärte mit vom Staub und Gefühlen rauer Stimme: "Es gab einen kleineren Einsturz. Glücklicherweise wurde niemand schwer verletzt. Willy ist hinein gekrochen, und hat Mohammed und mir geholfen bis die Rettungstruppe eingetroffen ist."
"Wo ist diese seltsame Frau überhaupt?!", fragte Arron, während er sich verärgert umsah. Cheops sah unbehaglich aus. "Aah ihr ist etwas Geschäftliches dazwischen gekommen. Ich weiß nicht, ob sie die Tour beenden können wird."
"Das ist aber sehr schade", stellte Bill enttäuscht fest. "Sie wusste eine ganze Menge über internationale Gesetze. Ich habe die Unterhaltungen mit ihr genossen."
"Sie wusste auch viel über Sport", fügte Abe anerkennend hinzu.
Betty und Jean tauschten wissende Blicke aus. Irgend etwas war in ihrer Abwesenheit definitiv schief gegangen.
"Ein Glück, dass wir die blöde Lesbe los sind", murmelte sich Bob verärgert in den Bart.
Die Gruppe kehrte zum Bus zurück, welcher kurz darauf angekommen war. Amand und Zahi guckten ängstlich, als sie Cheops sahen und rannten zu ihr, um sie zu umarmen. Cheops erklärte ihnen leise, was in der Höhle passiert war und dass Will etwas Geschäftliches zu erledigen hatte. Sie würde ihnen von ihren anderen Plänen erzählen, nachdem sie sich um ihre Tourgruppe gekümmert hatte.
Im Bus erklärte Cheops, dass sie den Nachmittag auf dem alten Markt von Luxor mit Shoppen verbringen würden. Betty und Jean klatschten vor Freude, während Bill und Abe mit gespielter Bestürzung stöhnten. Die Scotts wollten unbedingt wissen, wo sie einen guten Goldschmied finden würden. Nachdem Cheops alle Fragen beantwortet hatte, sackte sie in ihrem Sitz zusammen. Amand schlüpfte auf den Sitz neben ihr und hielt auf dem Weg durch die Wüste ihre Hand. Zurück auf dem Boot trennte sich die Gruppe, um sich zu waschen und für das Mittagessen und den Nachmittagsausflug umzuziehen.
Cheops führte die Kinder zu ihrer Kabine und gab ihnen Stifte und Papier zum malen, bevor sie duschte und ihre Schnittverletzungen behandelte. Dann zog sie sich ein sauberes Paar Jeans und ein T-Shirt an, bevor sie sich zu den Kindern setzte, um mit ihnen über ihre Zukunft zu reden.
"Amand, Zahi, Willy und ich wollen nur das Beste für euch. Wir werden dafür sorgen, dass ihr gut versorgt und ordentlich unterrichtet werdet. Ihr müsst jedoch verstehen, dass es Gesetze gibt, denen man folgen muss. Willy kann euch nicht adoptieren, da sie keine Ägypterin ist. Außerdem geht es ihr... im Moment nicht so gut."
"Sie war krank, Cheops Malone?", fragte Zahi.
"Ja sehr krank, aber ich hoffe... ich hoffe, dass es ihr bald besser gehen wird. Ich habe dafür gesorgt, dass ich euch heute Nachmittag in ein Weisenheim bringen kann, das ich kenne. Es ist ein sehr gutes. Ich lasse die Behörden überprüfen, ob es Verwandte gibt, die euch erziehen wollen. Sollte dies nicht der Fall sein, würde ich euch adoptieren und als meine eigenen Kinder aufziehen, wenn ihr das möchtet."
Amand umarmte Cheops fest und Zahi kuschelte sich an ihren Arm. "Oh bitte Cheops Malone! Bitte!"
Cheops kämpfte mit den Tränen, als sie den Rücken des kleinen Jungen streichelte. "Was auch immer passieren wird. Ich werde immer für euch da sein... ebenso wie Major Kyrtsakas."
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Will antwortete nicht auf die Fragen des älteren Polizisten. Ehrlich gesagt hätte sie Probleme gehabt dies zu tun. Sie hatte viel Energie gebraucht, um Cheops zu helfen und nun bekriegten die Drogen erneut ihren Körper. Der Tag war lang gewesen und der Raum, in dem sie auf einem harten Holzstuhl saß, war stickig und roch nach trocknem Papier und Staub.
Der ältere, einen abgenutzten Anzug tragende, Polizist ging zu dem uniformierten Polizist, welcher sie verhaftet hatte, um mit ihm zu reden. "Geweitete Pupillen, laufende Nase; sie ist eine verrückte Drogensüchtige. Wahrscheinlich ist sie hier in den Osten gekommen, um leichter an Drogen zu kommen. Ich vermute, dass sie lediglich Geld von Dr. Malone will, um ihre Sucht finanzieren zu können."
"Wir müssen vorsichtig sein. Wir wollen keinen Zwischenfall mit den Briten. Kümmere dich darum, dass die Schwester ihre Wunden versorgt. Wir können nicht zulassen, dass sie wegen uns an einer Infektion stirbt. Dann würde die europäische Presse wieder darüber schreiben, was für Wilde wir sind." der Polizist seufzte. "Entlasst sie heute Abend. Dies ist nicht unser Problem. Wir haben getan, was wir konnten."
Der junge Polizist nickte und verließ den Raum, um eine temporäre Zelle für Major Kyrtsakis zu arrangieren. Der ältere Polizist ging zu der schönen Frau zurück, welche auf dem Stuhl zusammen gesackt saß und nur noch von ihren hinter dem Stuhl zusammengebundenen Händen davon abgehalten wurde, vollständig herunter zu rutschen. Er reichte herunter und hob ihr Kinn, so dass er ihr in die Augen sehen konnte.
"Sie werden Cheops Malone in Ruhe lassen. Wenn erneut Beschwerden kommen, dass sie sie belästigt haben, werde ich sie ins Frauengefängnis sperren und den Schlüssel wegwerfen. Haben sie mich verstanden?!" Will nickte teilnahmslos. Der uniformierte Polizist kehrte zurück und half Will aufzustehen. Dann führte er sie zu den Zellen. Er fragte sich, ob die Archäologin die Wahrheit gesagt hatte und diese Frau wirklich eine gefoltert Kriegerin war. Warum würde ein Land seine Frauen schicken, um den Job eines Mannes zu machen?
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Es war ein nettes Weisenhaus. Gut geführt, führsorglich und modern. Dennoch brach es Cheops Herz, die beiden Kinder dort zurück zu lassen. Sie hatten geweint und Cheops hatte ihnen erneut versichern müssen, dass sie in Sicherheit waren und sie sich mit Will um ihre Interessen kümmern würde. Es war nicht einfach, Kindern zu erklären, dass das Leben von rechtlichen Prozessen regiert wurde, welche befolgt werden mussten.
Zurück auf dem Schiff kontrollierte sie, ob alle Gruppenmitglieder heile wieder angekommen waren. Dann begab sie sich eilig zu ihrem Raum, um sich fürs Abendessen umzuziehen. Glücklicherweise hatten ihre Gäste genug Geschichten von ihrem Shoppingausflug zu erzählen, so dass es bis zum Ende der Mahlzeit dauerte, bevor Arron die Aufmerksamkeit auf die fehlenden Personen lenkte. "Wo sind Willy und die Straßenkinder?", grummelte er.
Es kehrte Ruhe am Tisch ein und alle schauten Cheops an. Cheops blickte auf ihren Teller hinunter und dann hinauf in die erwartungsvollen Gesichter ihrer Gäste. "Will hat, wie ich bereits sagte etwas Geschäftliches zu erledigen. Die Kinder befinden sich jetzt in der Obhut einer staatlichen Einrichtung, bis geeignete Verwandte gefunden werden."
"Aber was, wenn es niemanden gibt?", fragte Jean besorgt.
Cheops lächelte zittrig, ihre Geduld am Ende.
Es war ein schwerer, traumatischer Tag gewesen, sowohl körperlich als auch emotional. "Ich hoffe, dass das der Fall sein wird. Da ich Ägypterin bin, könnte ich die Kinder legal adoptieren", erklärte sie. "Ich habe bereits alle notwendigen Formulare unterzeichnet, um den Prozess in Gang zu setzen."
Außer den Scotts brachen alle am Tisch in Applaus aus und gratulierten Cheops. Bob saß mit finsterem Blick da und Arron verlangte: "Was ist mit Willy? Sie hat sie gefunden. Sollte sie nicht die Verantwortung übernehmen, statt ihnen!"
Cheops knirschte mit den Zähnen, um zu verhindern, dass sie ihn anschnappte. Ihr Kopf dröhnte und sie wollte sich nur noch hinlegen. "Will ist britische Staatsbürgerin und kann nicht rechtsgültig ägyptische Kinder adoptieren. Ich wurde hier geboren und habe doppelte Staatsbürgerschaft."
"Nun wie ich bereits sagte Cheops. Wenn sie Hilfe mit dem Papierkram brauchen, lassen sie es mich einfach wissen", bot Bill Brant an.
Cheops lächelte. "Danke Bill. Danke ihnen allen, für ihre Glückwünsche und ihre Unterstützung. Sie sind eine tolle Gruppe Nun, wenn es ihnen nichts aus macht, werde ich mich jetzt zurückziehen. Es war ein ziemlich langer Tag."
Nachdem alle gute Nacht gewünscht hatten, machte sich Cheops auf den Weg zu ihrer Kabine, in welcher sie einige Schmerztabletten schluckte. Zu müde zum ausziehen, plumpste sie aufs Bett und blickte unglücklich auf das leere Bett neben ihrem. "Ich liebe dich Will. Ich werde dich immer lieben. Es tut mir so leid, so furchtbar leid", flüsterte sie und Tränen kullerten ihr Gesicht hinunter, bis sie vor Erschöpfung endlich in einen unruhigen Schlaf fiel.
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Willy wurde am gleichen Abend aus dem Gefängnis entlassen und hatte das Schiff noch bevor der Anker eingeholt und Segel gesetzt worden waren erreicht. Sie hatte für lange Zeit auf der hinteren Plattform gesessen und zugesehen, wie der Nachstrom des Schiffes silberne Mondlichtstreifen auf dem dunklen Wasser des Nils hinterließ. Der Mond würde heute zeitig untergehen, stellte sie fest.
Sie war aus zwei Gründen hier her gekommen. Zum einen, weil sie Zeit brauchte, um zu entscheiden, wie es weiter gehen sollte. Zum anderen, weil sie nicht von Cheops gesehen werden wollte. Weiter den Fluss hinunter, wäre es für Cheops zu spät, sie von Board werfen zu lassen. Die Erschöpfung hatte den Drogen in ihrem Körper die Möglichkeit geboten sich auszutoben. Es war schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Dennoch ging es ihr besser. Die Rückblenden waren verschwunden und es fiel ihr leichter Gedankengänge zu verfolgen.
Sie hatte erkannt, dass Rache den Schmerz nicht verschwinden lassen würde. Sie war all die Monate der Gefangenschaft und Folter aus den falschen Gründen am Leben geblieben. Warum war sie also am Leben? Vielleicht um den kleinen ägyptischen Kindern helfen zu können; ihnen die Chancen zu geben, die sie ihrem Sohn und Cheops Tochter gegeben hätte. Wenn ihr Sohn am Leben wäre und neben ihr sitzen würde, würde er dies wollen. Irgendwie erhielt sein sinnlosen Tod eine Bedeutung, wenn das Leben eines anderen Kindes besser wurde.
Der Terrorangriff in Deir el-Bahari war nicht Cheops Schuld gewesen. Sie hatte genauso viel, wenn nicht noch mehr, verloren wie Will. Es war nur leichter zu Hassen als zu Trauern; einfacher Rache zu suchen, als sich hilflos zu fühlen. Sie hatte so falsch gelegen. Jetzt musste sie es in Ordnung bringen. Sie würde im nächsten Hafen ein Segelboot mieten und mit den Kindern den Nil hinunter verschwinden. Will war eine gute Seglerin. Sie würde die Küste entlang nach Alexandria segeln und sich dort über ihre alten Geheimdienst-Kontakte drei Pässe besorgen, mit denen sie sicher nach England zurückkommen würden.
Sie streckte ihren langen Körper und lehnte ihren Kopf gegen das Kabinendeck. Ein Haus im Lake Distrikt wäre nicht schlecht. Die Kinder könnten zur Schule gehen. Vielleicht könnte sie eine kleine Farm mit einigen Schafen und Pferden kaufen. Sie könnte den Touristen an den nahe gelegenen Felswänden Bergsteigen beibringen. Ihre Augen schlossen sich und sie schlief.
Einige Stunden später erwachte sie kalt und steif und stand taumelnd auf. Man hatte ihr im Gefängnis erlaubt sich zu waschen und eine Krankenschwester hatte ihre Wunden versorgt. Sie trug aber immer noch die Sachen, in denen sie an diesem Morgen durch das Grab gekrochen war. Das schien Jahre her zu sein. Was sollte sie als nächstes tun? Sie konnte schlecht in Cheops Raum schlafen. Das würde wahrscheinlich zu einer erneuten Verhaftung führen. Sie konnte keine weitere Verwicklung mit der Polizei gebrauchen, wenn sie das Land heimlich mit den Kindern verlassen wollte.
Es wäre wohl besser bei den Kindern zu schlafen und ihre Sachen aus Cheops Raum zu holen, wenn diese beim Frühstück war. Sie würde den Kindern irgendwie erklären müssen, dass sie ihre Anwesenheit an Board geheim halten mussten. Sie öffnete die Tür und schlüpfte den Gang hinunter. Sie wollte keinen Ärger mit Cheops. In ihrem Hals bildete sich ein Kloß, den sie herunter schluckte. Das war Vergangenheit. Sie schlüpfte in das Zimmer der Kinder und ging hinüber, um nach ihnen zu sehen, bevor sie sich zum schlafen auf die Couch legen würde. Die Betten waren leer. 'NEIN!', schrie eine Stimme in ihrem Kopf. 'NICHT SCHON WIEDER!'
Eine im Schatten stehende Person sah Willy von einem Raum in den anderen stürmen. Etwas hatte Cheops geweckt und sie war aufgestanden, schlaftrunken erstaunt, dass sie immer noch in ihren Straßenkleidung war. Sie sah aus dem Fenster und bemerkte, dass sie schon einen großen Teil des Weges nach Edfu hinter sich gebracht hatten. Sie entriegelte den Rahmen und schob das Fenster nach unten, so dass das wirbelnde Wasser und die kühle Nachtluft der Wüste in ihre Kabine dringen konnten. Erneut schossen ihr Tränen in die Augen. 'Will, bitte sei in Sicherheit. Bitte werde gesund', wünschte sie sich, während sie in den schwarzen Himmel hinaufblickte.
Die Tür zu Cheops Zimmer wurde aufgeschlagen und sie drehte sich überrascht herum. "Wo sind meine Kinder?!", verlangte Will, ihre Augen leuchteten wie kaltes Feuer, während sie vor Wut schnaubend da stand.
Cheops entgegnete der Herausforderung mit ruhiger Vernunft und versteckte die Furcht, die ihr Herz schneller schlagen ließ. "Ich habe sie in eine staatliche Einrichtung gebracht, die sich um verwaiste Kinder kümmert. Sobald..."
"Du Schlampe!", knurrte Will, wie eine Rakete nach vorne schießend. Cheops sah den Schlag nicht kommen, sie krümmte sich einfach, als der Schmerz sie traf. Auch den zweiten Schlag, der sie zu Boden schickte, sah sie nicht. Will hob sie hoch und trug sie den Gang hinunter zum hinteren Deck. Sie hielt die bewusstlose Frau über das schwarze Wasser. Dann hielt sie inne und zog den Körper wieder dicht an sich heran.
Einen Sekundenbruchteil später, schlug ein Ellbogen gegen ihre Nase, der sie vor Schmerzen blind werden ließ. Blut schoss heraus und sie ließ Cheops aufs Deck fallen, um sich ins Gesicht zu fassen. "Ich hasse dich! Ich hasse dich!", schrie Cheops vor Schmerzen, sich ängstlich dicht an die Kante bewegend. Will griff nach ihr, aber ein anderes Paar Hände war zuerst da und schubste die kleinere Frau von der offenen Plattform hinaus in die Dunkelheit.
Instinktiv griff Cheops nach Wills ausgestrecktem Arm, woraufhin sie beide in das trübe Nilwasser fielen. Das Schiff setzte seine Fahrt fort. Der Mond hing tief über dem westlichen Ufer des Nils; der Seite des Sonnenuntergangs; der Toten.
Cheops spritze panisch umher. Wo war Will?! "Ich kann nicht schwimmen!", rief sie hinaus in die Dunkelheit, als sie erneut unterging. Starke Arme ergriffen sie von hinten und zogen sie an die Oberfläche.
Cheops klammerte sich verzweifelt an den starken Nacken und tunkte sie beide erneut unter Wasser. Will stieß sich ab und zog Cheops an den Haaren an die Oberfläche. "Hör auf dich zu wehren!", lallte sie.
"Ich kann nicht schwimmen!" Will griff Cheops am Nacken und zog sie gegen ihre Brust. Mit starken Zügen begann sie hinter den kleiner werdenden Lichtern des Bootes hinterher zu schwimmen.
"Was tust du da?!"
"Ich schwimme hinter dem Boot her", erklärte Will überrascht, bevor sie inne hielt um Cheops anzusehen. 'Warum sind wir im Wasser', fragte sie sich. Erschöpfung und Ärger hatten sie verwirrt und desorientiert zurückgelassen. Sie gingen erneut unter, woraufhin Will erneut los schwamm.
Cheops schnappte nach Luft und versuchte nicht in Panik zu geraten. "Schwimm weiter Will!" Will starrte den weit entfernten Lichtern des Schiffes hinterher.
"Will! Es ist weg! Oh Scheiße! Hör mir zu, du kannst nicht klar denken. Hör mir zu Liebling. Hör zu ok?", redete Cheops auf Will ein, welche sie beide kaum über Wasser halten konnte. "Das Boot ist weg. Wir müssen an Land schwimmen. Schwimm da rüber", befahl Cheops über Wills Schulter auf das entfernte Ufer zeigend.
Will begann im Kreis zu schwimmen, nicht sicher was sie tun sollte. "Nein! Nicht da lang! Will hör zu, nicht im Kreis! Da lang", schluchzte Cheops panisch. Will folgte dem ausgestreckten Arm. "Okay so ist es gut. Zum Ufer. Sehr schön. Lass nicht los."
Will streckte ihr Kinn hervor und ignorierte den Schmerz in ihren kalten Gelenken. Sie kämpfte gegen die Verwirrung und die Erschöpfung und konzentrierte sich auf Cheops Worte. Sie mussten ihre Streitigkeiten vergessen und zusammenarbeiten. Andernfalls würde sie nie aus dieser Situation herauskommen. Sie mussten es schaffen und zurück zu den Kindern gelangen.
"Will! Hör nicht auf zu schwimmen!"
"Müde."
"Nein! Schwimm! Nur noch ein kleines Stück. Nein, da lang!" Erleichtert konnte Cheops das schlammige Ufer unter ihrem guten Fuß spüren. Will schwamm immer noch, sich ihrer Taten kaum bewusst. Cheops ließ sich von ihr dichter an Land ziehen, bevor sie das Ufer hinauf kroch und herunterlangte, um die große Frau zu sich herauf zu ziehen. Für eine Weile lagen sie nach Luft schnappend da.
"Jeder weiß wie man schwimmt, Malone", lallte Will spöttisch.
"Ich bin in der Wüste aufgewachsen, verdammt noch mal!"
"Du solltest es lernen", kam die müde Antwort.
Sie langen für einige Zeit erschöpft da, bevor Cheops sprach: "Will ich habe dir die Kinder nicht erneut weggenommen. Ich habe Schritte unternommen, um sie zu adoptieren, falls keine Verwandten gefunden werden, die sich um sie kümmern wollen. Sie werden gut versorgt Will und sie wissen, dass wir für sie da sein werden. Aber es geht dir momentan nicht gut genug, um ihnen zu helfen Will."
Stille.
Dann: "Ich hätte dich nicht schlagen sollen."
"Ich hätte dich auch nicht schlagen, oder vom Boot ziehen sollen."
"Wer hat dich gestoßen?"
"Bob."
"Bastard."
"Ja."
"Cheops?"
"Hmmm."
"Gibt es hier Nilkrokodile oder wurden die alle mumifiziert?"
"Es ist okay. Es wird nicht angenommen dass es unterhalb des Assuanstaudamms noch welche gibt." Stille.
"Wie sicher ist das?"
Cheops lachte sanft. "Nun, ich denke wir testen diese Theorie gerade!"
Will rollte sich mühevoll auf die Seite und betrachtete Cheops im verblassenden Mondlich. "Du zitterst. Wir müssen eine Unterkunft finden. Die Nacht wird kalt und wir brauchen medizinische Versorgung, oder das Wasser wird uns höchstwahrscheinlich umbringen. Kannst du aufstehen?"
Cheops blickte Will an und reichte mit der Hand hinüber, um ihr Gesicht zu berühren. "Ja, aber Will, ich glaube nicht, dass ich mit der nassen Prothese sonderlich weit laufen kann. Es wird scheuern."
Will nickte. Sie musste irgendwie genug Energie finden, um sie beide an einen sicheren Ort zu bringen. Andernfalls würden sie wahrscheinlich aufgrund des Schocks und der Belastung sterben. "Ich werden versuchen dich zu tragen ok? Aber mein Verstand ist nicht allzu klar, wenn ich müde werde."
"Wirklich?!", neckte Cheops sanft. "Wir können hier raus kommen Will, wenn wir uns gegenseitig helfen." Ihre beiden Hände verflochten sich in einem unausgesprochenen Band.