Xena die Kriegerprinzessin
Das Gottesurteil Teil 4
By Xenina
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"Xena!" Die Kriegerprinzessin reagierte nicht sondern schrie wie von Sinnen weiter. "Xena! Hör' auf!!" Doch Xena hörte nichts und sah auch nicht den Mann, der eilig von der Tribüne gestiegen war und nun direkt vor ihr stand. Immer noch umklammerte sie Gabrielles schlaffen Körper als wolle man ihn ihr entreißen, immer noch schrie sie ohne inne zu halten obwohl inzwischen kaum mehr als ein heiseres Krächzen aus ihrer gemarterten Kehle drang.Da schlug der Mann die Rasende ins Gesicht, einmal, ein zweites Mal. Die Wunde auf Xenas Wangenknochen platzte wieder auf aber die grobe Behandlung zeigte Wirkung: die Kriegerin verstummte abrupt und schien zu sich zu kommen. Sie sah den Mann vor sich mit bebenden Lippen verständnislos an. Er war mittleren Alters, braunhaarig mit graublauen, freundlichen Augen und groß und schlaksig. Sein glatt rasiertes Gesicht war nicht schön, zeugte aber von einem wachen Verstand und seine schlanken empfindsamen Hände schienen die eines Musikers zu sein - oder die eines Arztes. Xenas gerötete Augen weiteten sich vor Erstaunen und sie krächzte: "Hippokrates!" Dann fiel ihr Blick auf den leblosen Körper in ihren Armen, ihre Schultern sanken herab und sie weinte bitterlich.
Der Mann, den Xena Hippokrates genannt hatte, langte hinauf und legte der großen Frau tröstend die Hand auf die Schulter. Dann sagte er sanft aber eindringlich: "Xena! Leg' Gabrielle auf den Boden, schnell! Laß' sie mich untersuchen!" Die große Frau sah den Sprecher an, in ihren Augen spiegelte sich abgrundtiefe Trauer und Verzweiflung: "Wozu denn noch? Gabrielle ist tot, Hippokrates, da helfen auch deine Künste als Arzt nicht mehr! Sie ist tot, verstehst du? Tot!" Die Stimme der Kriegerin schnappte über und sie war kurz davor, wieder der Raserei zu verfallen.
Hippokrates fasste Xena schmerzhaft fest am Unterarm, dann gab er Achillaeus Maximus, der heran gekommen war und fassungslos das Geschehen mit angesehen hatte, ein Zeichen, nahm seinen reich bestickten Umhang ab und breitete ihn im Schlamm aus. Gemeinsam mit dem ehemaligen Gladiator löste er Gabrielles Körper vorsichtig aus Xenas widerstrebenden Armen und bettete ihn auf das Kleidungsstück am Boden.
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"Achillaeus!" Cäsars scharfe Stimme durchschnitt die Luft. Der Gerufene richtete sich auf, sah den zukünftigen Diktator Roms an und salutierte: "ja, mein Konsul?" Cäsar schnappte wütend: "ich bin nicht länger "dein" Konsul! Du hast dich besiegen lassen und dazu auch noch von einer Frau ! Von einer schwächlichen Frau, die dir kaum bis zum Gürtel reicht .." Cäsar verzog verächtlich den Mund. "Du bist es nicht wert, länger Anführer der Leibgarde von Gaius Julius, Prokonsul von Rom zu sein. Ich will dich nicht mehr sehen!" Achillaeus hatte schon so etwas erwartet und Gabrielle hatte es ihm ja auch prophezeit. Er zuckte gelassen mit den Schultern, salutierte wortlos ein letztes Mal vor seinem Feldherrn und drehte Cäsar dann demonstrativ den Rücken zu. Überraschenderweise verspürte er lediglich Erleichterung ..Cäsar hatte genug von der ganzen Angelegenheit. Zwar hatte er sich an Xenas Verzweiflung geweidet aber jetzt war da dieser verdammte Arzt aufgetaucht und dokterte an Gabrielle herum. Cerberus mochte wissen, wozu dieser Grieche imstande war, womöglich erweckte er Xenas mickrige Freundin noch zu neuem Leben! Der Konsul hatte nicht die geringste Lust, das mit an zu sehen. Und erst recht kein Interesse daran, dass die Leute auf dem Platz, seien es Griechen, seien es seine Soldaten auch noch Zeugen einer Wunderheilung würden. Sein Ruf war sowieso schon genug ramponiert. Er gab Befehl, den Platz und die Tribüne zu räumen und seine Legionäre begannen damit, die widerstrebenden Leute zu zerstreuen. Cäsar warf noch einen hasserfüllten Blick auf Xena und dachte: "irgendwann kriege ich dich, du Miststück!" Dann drehte er sich um und verließ hocherhobenen Hauptes den Ort der dramatischen Ereignisse. Er wollte nur noch eines: so schnell wie möglich fort aus diesem verfluchten Griechenland, endlich nach Hause, zurück nach Rom!
Inzwischen hatte Hippokrates Gabrielle nicht nur eilig untersucht, sondern ihr auch eine Medizin eingeflößt. Xena beobachtete den berühmten Arzt voller Zweifel aber mit einem Fünkchen Hoffnung im Herzen der unbändig danach drängte, ein loderndes Feuer zu werden. Doch die kluge Kriegerin hielt ihn klein. Trotzdem konnte sie nicht umhin, den Arzt zu fragen: "was machst du da, Hippokrates?" Zur Antwort runzelte der Gefragte die Stirn und hantierte mit einem Rohr, welches sich nach unten hin trompetenartig verbreiterte. Das untere Ende setzte er auf Gabrielles Brust und legte nun sein Ohr an das obere. Hippokrates horchte ein Weilchen konzentriert, dann glitt ein frohes Lächeln über sein Gesicht: "Gabrielle lebt!"
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Xena wurde schwarz vor Augen. Schnell griff sie nach Achillaeus' Schulter und hielt sich an ihm fest, bis sie sich wieder gefasst hatte. Sie konnte es nicht glauben: "Gabrielle lebt??" wiederholte die stolze Frau mit kaum hörbarer Stimme fragend und fürchtete sich unwillkürlich vor der Antwort. Hippokrates sah sie ernst an: "ja, Xena, sie lebt! Aber sie liegt im Koma und steht an der Schwelle zum Tod. Sie hat viel zu viel Blut verloren! Wir müssen schnellstens jemanden finden, der ihr welches spendet!"Ohne lange zu fackeln bückte Xena sich, nahm ihr Schwert vom Boden auf und ritzte sich damit in den Unterarm. "Hier Hippokrates! Nimm mein Blut! Ich werde Gabrielle mit Freuden alles bis zum letzten Tropfen geben!" Der Arzt lächelte teilnahmsvoll, während er bereits damit begann, Gabrielles schlimmste Wunden provisorisch zu verbinden, nachdem er ihr vorsichtig das Oberteil der Rüstung ausgezogen hatte. "So einfach ist das leider nicht, Xena. Nicht jedermanns Blut ist für jeden Menschen geeignet. Ich muß erst einen Test machen." Dann wandte er sich an Achillaeus: "Schnell, sammle ein paar Leute, bevor alle fort sind. Wenn ich Xenas Blut nicht verwenden kann, müssen wir weitere Spender zur Verfügung haben um so schnell wie möglich einen passenden zu finden. Jede Minute zählt!" Achillaeus nickte: "mein Blut kannst du auch gerne haben!" Dann rannte er los um einige Leute zusammen zu trommeln.
Xena beobachtete nun mit hochgezogenen Augenbrauen, wie Hippokrates etwas aus der Tasche nahm, in der er medizinische Utensilien aufbewahrte. Mit einem winzigen Gerät nahm er einen Tropfen von Xenas Blut, zuvor hatte er das gleiche mit Gabrielles getan. Dann wandte der Arzt der Kriegerin den Rücken zu, so dass sie nicht mehr sehen konnte, was er tat. Gespannt wartete sie auf das Ergebnis seiner Untersuchung und nagte an ihrer Unterlippe. Es dauerte nicht lange, da drehte Hippokrates sich wieder um und sagte mit einem erfreuten Lächeln: "dein Blut passt zu dem von Gabrielle! Wir können sofort mit der Übertragung beginnen!" Xena atmete erleichtert auf und der Arzt fuhr fort: "bitte rufe Achillaeus zurück und schicke die restlichen Leute fort während ich alles für die Transfusion vorbereite."
Als Achillaeus wieder bei Hippokrates war, bat dieser den Gladiator: "Achillaeus, bitte sei so gut und hol' mir zwei Bretter von der Tribüne, ja? Ich möchte Gabrielle so wenig wie möglich bewegen." Achillaeus nickte und schritt eilig zu der inzwischen verwaisten Tribüne, wo er mit seiner ungeheuren Kraft ein paar Planken aus der untersten Sitzreihe riß, mit denen er zu dem Arzt zurückkehrte.
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Hippokrates nahm die beiden Bretter und legte sie zu Gabrielles rechter Seite bündig nebeneinander in den Schlamm. Dann breitete er ein dünnes aber dicht gewebtes weißes Tuch darüber und gebot Xena, sich auf die andere Seite der Bretter zu legen, mit dem Kopf in die gleiche Richtung wie Gabrielle. Ohne zu zögern legte die große Kriegerin sich in den Matsch, eine Unterlage für sie stand nicht zur Verfügung und die Zeit eilte. Der Arzt legte nun Gabrielles rechten Arm auf die Bretterunterlage und reinigte die Armbeuge gründlich mit Alkohol. Genauso verfuhr er dann mit Xenas linkem Arm.Die Kriegerprinzessin sagte kein Wort um Hippokrates nicht zu stören, aber die Anspannung war ihr ins Gesicht geschrieben. Achillaeus stand ehrfürchtig da und wagte sich nicht zu rühren.
Inzwischen waren die zwei Männer und die Kriegerprinzessin mit Gabrielles Körper alleine, alle anderen Leute hatten den Platz verlassen wie Cäsar es befohlen hatte und nach all dem Lärm war es nun beinahe unnatürlich still. Es hatte nun schon ein Weilchen aufgehört zu regnen und klarte zunehmend auf. Schon waren die Wolken nicht mehr ganz so dicht und hin und wieder lugte sogar der blaue Himmel zwischen ihnen hervor.
Die Bewegungen des Mediziners waren schnell aber trotzdem präzise als er nun ein merkwürdiges Gerät aus seiner Tasche holte: zwei kurze Schläuche waren durch eine unten geschlossene Glasröhre miteinander verbunden, in der ein beweglicher Kolben aus Metall steckte, dessen Griff oben heraus ragte. Am Ende der Schläuche war jeweils eine Hohlnadel aus Metall angebracht. Die Schläuche bestanden aus einem seltenen Material aus einem Land weit im Westen hinter dem Ozean. Man nannte es Kautschuk und seine Verwendungsmöglichkeiten waren unermesslich.
Hippokrates beugte sich nun zuerst über Gabrielles Arm und stach ihr nach sorgfältiger Platzierung eine der Nadeln in die Armvene. Xena sog scharf die Luft ein. Sie hatte in ihrem bisherigen Leben viele Gräuel erlebt, viel Blut gesehen und viele Schmerzen erduldet. Diese feine Nadel aber, wie sie da in Gabrielles Arm steckte, jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Als Hippokrates nun ihren eigenen Arm für die Blutübertragung präparierte, sah die große Kriegerin lieber zur Seite.
Ein kurzer Schmerz signalisierte Xena, dass auch ihre Nadel an Ort und Stelle saß und sie wendete den Kopf um zu sehen, was weiter passierte, vor allem aber ob Gabrielle durch die Transfusion tatsächlich gerettet wurde. Im Geiste schickte sie, die sonst nicht besonders viel von den Göttern hielt, ein Stoßgebet an Aesculap, den Gott der Heilkunst und beobachtete gebannt das weitere Geschehen.
Hippokrates hantierte nun behutsam mit dem Kolben und dieser füllte sich nach einem kurzen Moment mit Xenas Blut, wie ein ziehendes Gefühl an der Einstichstelle und die in die Glasröhre fließende rote Flüssigkeit ihr verrieten. Der Arzt ließ eine kleine Weile das Blut von Xena zu Gabrielle fließen und schloß dann den Kolben wieder. Während der ganzen Prozedur behielt er Gabrielle scharf im Auge aber die Bardin zeigte kein Lebenszeichen. Nach einer kurzen Zeitspanne wiederholte Hippokrates den Vorgang und tat das noch ein paar Mal bevor er Xenas Blut für längere Zeit fließen ließ.
Xena war vollkommen konzentriert auf ihre Freundin, der sie gerade den eigenen Lebenssaft spendete um sie zu retten. Was für ein eigenartiges Gefühl das war! Die Kriegerin hatte plötzlich auf merkwürdige Weise den Eindruck, als wären sie und Gabrielle nicht mehr zwei getrennte Wesen sondern durch das zwischen ihnen fließende Blut eins geworden. Wenn nicht von einem Fleisch so doch von einem Blute und so folgte ihrer seelischen Verbindung nun auch eine körperliche. . Unwillkürlich traten der Kriegerin heiße Tränen in die Augen und sie dachte: "Wach' auf, Gabrielle! Wach' endlich auf! Verlaß' mich nicht!"
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Schließlich schloß Hippokrates die Röhre mit dem Kolben und nahm die Nadeln erst aus Xenas und dann aus Gabrielles Arm. Danach beugte er sich mit seinem Hörrohr wieder über die Brust der immer noch reglosen Bardin und horchte. Hin und her gerissen zwischen Angst und Hoffnung sah die Kriegerprinzessin mit großen Augen unruhig zwischen Gabrielle und dem Arzt hin und her. Dann hielt sie es nicht mehr aus: "was ist, Hippokrates? Gabrielle rührt sich nicht hat es nicht .. funktioniert ..?" Der Mediziner lauschte noch einen Moment, dann blickte er Xena froh an: "doch, Xena, es hat funktioniert Gabrielle lebt immer noch!" Und tatsächlich schien jetzt auf Gabrielles Wangen die Andeutung eines rosigen Hauchs zu liegen.Achillaeus jubelte und die überglückliche Kriegerin wollte aufspringen und dem Retter stürmisch um den Hals fallen. Der aber machte eine abwehrende Handbewegung und sagte ernst: "freut euch nicht zu früh! Gabrielle liegt immer noch im Koma und es gibt bei der Transfusion trotz allen Erkenntnissen der modernen Medizin ein bis heute unbekanntes Risiko." Xena sah ihn gequält an: "aber du hast doch gesagt, dass mein Blut für Gabrielle verträglich ist!" Hippokrates nickte: "das stimmt. Es gibt verschiedene Arten von Menschenblut. Sie unterscheiden sich durch die Blutgruppe. Wir wissen heute nach langjähriger Forschung, dass nur Blut der gleichen Blutgruppe übertragen werden darf, andernfalls stirbt der Empfänger." Xena glaubte, verrückt werden zu müssen: "aber du hast doch gesagt, dass mein Blut passt !" "Ja, Xena, du hast die gleiche Blutgruppe wie Gabrielle. Das habe ich getestet. Doch trotz der Übereinstimmung der Blutgruppe sterben immer wieder Empfänger aus noch unerforschten Gründen. Daher ist noch nicht klar, ob Gabrielle überleben wird." "Dann tu' doch etwas!" Xena schrie den Arzt trotz schmerzender Kehle beinahe an doch der war ihr nicht böse, vielmehr sah er die große Frau bedauernd an und sagte leise: "ich habe getan, was in meiner Macht stand. Ich kann jetzt nur noch Gabrielles Wunden reinigen und verbinden. Der Rest liegt in den Händen der Götter .."
Xena wusste nicht, wie lange sie dieses Wechselbad der Gefühle noch würde ertragen können: erst das aufreibende Hin und Her während der Gerichtsverhandlung, dann Gabrielles Kampf mit Achillaeus. Anschließend daran die unbeschriebliche Freude über den Sieg der Freundin dicht gefolgt vom bodenlosen Entsetzen über ihren vermeintlichen Tod. Und nun die Bluttransfusion, von der sie angenommen hatte, dass sie Gabrielles Leben retten würde, deren Erfolg nun aber wieder in Frage gestellt war. Die Kriegerin ballte die Fäuste und versuchte, das Zittern, welches ihren starken Körper anfallsartig ergriff, zu unterdrücken. Ihre Nerven lagen blank.
Hippokrates bemerkte den Zustand der sonst so gelassenen Frau und sie tat ihm von Herzen leid, besonders da er wusste, dass die Zeit des Hoffens und Bangens noch lange nicht vorüber war.
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Gabrielle konnte unmöglich unter freiem Himmel im Matsch liegen bleiben. Xena entschied, sie in die Herberge "Zur reisenden Amazone" zurück zu bringen. Es gab keinen näher gelegenen Ort, wohin sie die Schwerverletzte hätten bringen können und dort kannte man sie und würde ihnen nach Kräften helfen. Hippokrates bat Achillaeus, noch einmal ein Brett von der Tribüne zu holen und trug Xena auf, Argo zu holen.Die Kriegerin war froh, etwas tun zu können und stapfte durch den Schlamm zu ihrer Stute hinüber. Obwohl ihre Herrin beinahe unkenntlich von oben bis unten mit Dreck beschmiert war, erkannte Argo sie schon von weitem. Die Stute wieherte trompetenartig und gebärdete sich wie wild in dem Versuch, sich von dem Pflock loszureißen, an dem sie festgebunden war. Xena beeilte sich, zu ihrem Pferd zu kommen, bevor es sich verletzte. Als die Kriegerin ihr Reittier erreichte, wieherte es leise und rieb den Kopf an ihrer Seite bis sie fast umfiel. "Argo, mein Mädchen!" sagte Xena sanft. "Ist ja gut! Ich bin ja da!" Und sie kraulte der Stute den Hals. Dann band sie ihr honigfarbenes Pferd los, ergriff seine Zügel und führte es zu Gabrielle und die beiden Männer herüber. Zufrieden schnaubend folgte Argo ihr nur zu gerne. Ab und zu stupste sie Xena mit der Nase an als wolle sie sich vergewissern, dass ihre Herrin leibhaftig neben ihr ging und nicht nur ihr Gespenst.
Als Xena mit Argo bei der Gruppe ankam, hatte Achillaeus bereits ein Brett von der Tribüne geholt und war damit beschäftigt, an den mit dem Schwert eingekerbten Enden Seile zu befestigen. Die Planke wurde zu einer Trage für die immer noch reglose Gabrielle umfunktioniert. Xena warf einen Blick auf die Freundin in ihrem unveränderten Zustand und ihr durch das Wiedersehen mit Argo etwas froher gewordenes Gesicht verdüsterte sich wieder. Achillaeus und Xena banden nun das eine Ende des Bretts hinter Argo an die Steigbügel des Sattels. Da sie über kein zweites Pferd verfügten, würde Xena das andere Ende übernehmen.
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Achillaeus musste dringend seine Habseligkeiten aus dem Römerlager holen, er war in Sorge, Cäsar könne sie schon beschlagnahmt haben. Xena hatte nichts dagegen, dass er sie verließ: obwohl er ihr sympathisch war, trug er doch die Schuld an dem lebensbedrohlichen Zustand ihrer geliebten Freundin. Außerdem wollte sie nach all der Aufregung am liebsten mit Gabrielle alleine sein, abgesehen natürlich von der Anwesenheit des Arztes, der vermutlich als einziger dazu in der Lage war, Gabrielle vielleicht noch irgendwie zu helfen.Der ehemalige Anführer von Cäsars Leibgarde verabschiedete sich also vom Arzt und der Kriegerin. Als er sich Xena zuwandte sagte diese: "du bist ein anständiger Mann, Achillaeus Maximus. Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft!" Achillaeus packte Xenas Unterarm: "danke, Xena! Ich bin stolz, dich kennen gelernt zu haben! Dich und Gabrielle!" Und mit einem Blick auf die Bardin fügte er leise hinzu: "bitte grüß' sie von mir, wenn sie aufwacht. Und sag' ihr, dass ich noch nie einem so großmütigen und edlen Menschen begegnet bin wie ihr!" Xena nickte und verspürte einen Kloß im Hals, eilig hob sie ihr Schwert vom Boden auf und hängte es sich über die Schulter.
Die Kriegerin packte nun die Seilschlaufen an ihrem Ende des Bretts und hob es in die Waagerechte. Achillaeus nahm behutsam Gabrielles immer noch schlaffen Körper vom Boden auf und legte ihn vorsichtig auf das Brett, auf das Hippokrates zuvor das dünne weiße Tuch gebreitet hatte. Dann band der Arzt Gabrielles Arme an der Trage fest, damit sie beim Transport nicht herunter rutschen konnten.
Nach einem letzten Abschiedsgruß schnalzte Xena mit der Zunge und Argo setzte sich, von Hippokrates geführt, langsam in Bewegung. Der riesenhafte Achillaeus Maximus blickte dem kleinen Zug noch lange nach. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus, wendete sich um und wanderte zum Römerlager um seine Sachen zu holen und dann ein neues Leben zu beginnen. Er wunderte sich, dass ein einziger Tag im Leben eines Menschen dieses so grundlegend verändern konnte. Er würde ihn bis zu seinem Tod nie vergessen, ebenso wenig wie die Hauptperson der Ereignisse: Gabrielle. Und er hoffte mit allen Fasern seines Herzens, dass die kleine Bardin die schrecklichen Wunden die er ihr zugefügt hatte, folgenlos überlebte.
Verwaist lag der Platz, der für zwei Tage erst Gerichtsort und dann Kampfarena gewesen war, nun da. Die Tribüne erhob sich vor der Kulisse des Römerlagers aus dem aufgeweichten, zertrampelten Erdreich. Zwei Bretter lagen einsam am Boden und das schwarze, den Göttern sei Dank unbenutzte Kreuz drohte immer noch von der anderen Seite des Platzes herüber. Außer den gedämpft aus dem Lager dringenden Geräuschen war es nun vollkommen still. Da kam für einen Moment die untergehende Sonne hervor und tauchte alles in rotgoldenes Licht. Ein Vogel stimmte sein Abendlied an und mit dem Tau senkte sich auch der Frieden wieder auf den geschundenen Ort herab.
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Auf dem Weg zur Herberge hatten Xena und Hippokrates zum ersten Mal Gelegenheit, in Ruhe miteinander zu sprechen. Xena sagte: "Hippokrates, wie kommt es eigentlich, dass du heute zur rechten Zeit am rechten Ort warst?" Der Arzt drehte kurz den Kopf zu Xena, dann sagte er: "ich bin auf dem Weg zu einem Ärztekongreß nach Athen. Als ich am Morgen hier in die Gegend kam, hörte ich, dass nachmittags in der Nähe ein Kampf um ein Gottesurteil ausgetragen werden würde. Ich beschloß, meine Reise zu unterbrechen um dort wenn nötig meine ärztliche Hilfe anzubieten, auch wenn ich mich danach würde beeilen müssen um noch rechzeitig nach Athen zu kommen. Ich hatte natürlich nicht die geringste Ahnung, dass Gabrielle einer der Kämpfer ist!" "Ich bin sicher, dass Aesculap persönlich dich hierher geschickt hat. Das ist bestimmt ein Zeichen dafür, dass Gabrielle wieder gesund wird!" Der Tonfall der Kriegerprinzessin drückte verzweifelte Hoffnung aus. Hippokrates erwiderte: "auch ich wäre sehr, sehr froh darüber, glaub' mir! Ich habe Gabrielle und Dir sehr viel zu verdanken. Hätte ich Euch damals nicht getroffen, wäre ich heute bestimmt kein so erfolgreicher Arzt. Aber auch meine Fähigkeiten sind leider viel zu gering! Wir können nur abwarten, wie sich Gabrielles Zustand weiter entwickelt."Xena senkte für einen Moment bedrückt den Kopf, dann fiel ihr etwas ein: "du hast gesagt, dass du zu einem Kongreß nach Athen musst und spät dran bist. Heißt das, dass du nicht da bleibst bis Gabrielle außer Gefahr ist?" Der Arzt nickte bedauernd: "leider geht es nicht anders, Xena. Der Kongreß ist äußerst wichtig für die medizinische Forschung! Außerdem kann auch ich nichts mehr für Gabrielle tun, wie ich schon sagte. Wenn wir in der Herberge angekommen sind, werde ich ihre Wunden gründlich versorgen und dir ein paar Anweisungen geben, wie du sie pflegen musst. Dann aber werde ich auf schnellstem Weg nach Athen weiter reisen." Xena sagte nichts mehr und sie setzten schweigend ihren Weg fort.
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Der Wirt der Herberge "Zur reisenden Amazone" sah zum wiederholten Male durch ein Fenster der Schankstube nach draußen in die Dämmerung als Xena und Hippokrates mit der immer noch bewusstlosen Gabrielle vor dem Gebäude eintrafen. Der gute Mann war von Cäsars Legionären nach Hause geschickt worden wie alle anderen auch und hatte seitdem ängstlich auf Nachricht von Gabrielles Zustand und ihrem und Xenas Verbleib gewartet.Als er die Trage sah, fuhr ihm der Schreck durch alle Glieder und er stürzte nach draußen vor die Tür. Sein Blick fiel auf die wie leblos daliegende Gabrielle und Tränen traten ihm in die Augen. Leise fragte er: "ist sie tot?" Hippokrates sagte: "Aesculap sei Dank: nein! Aber ihr Zustand ist leider mehr als bedenklich!"
Ungeduldig mischte Xena sich ein und sagte zum Wirt: "wir sind hierher zurück gekommen, weil ich nicht wusste, wohin wir sonst hätten gehen sollen. Ich bitte dich, gib' mir so lange wie nötig ein Zimmer, in dem ich Gabrielle pflegen kann und versorg' uns mit allem was wir brauchen. Natürlich werde ich für alles bezahlen!" Entrüstet wehrte der Wirt ab: "selbstverständlich bekommt ihr mein bestes Zimmer und alles, was ihr braucht - ein Bad eingeschlossen," fügte er mit Blick auf Xenas inzwischen angetrocknete Schlammkruste hinzu. "Wenn du mir aber auch nur einen Dinar dafür geben willst, musst du dir eine andere Herberge suchen!" Und er ließ sich weder durch Xena noch durch Hippokrates von seiner Entscheidung abbringen.
Der Herbergsvater hielt Wort: nachdem er einen halbwüchsigen Jungen angewiesen hatte, Argo in den Stall zu bringen und gut zu versorgen trug er gemeinsam mit Xena und gefolgt von dem Arzt Gabrielle auf ihrem behelfsmäßigen Brett in die Schankstube. Die anwesenden Gäste verstummten und standen schweigend mit gesenkten Köpfen Spalier, als Gabrielle an ihnen vorbei und die Treppe hinauf in das geräumige Zimmer getragen wurde, in dem Cäsar übernachtet hatte. Es war für ländliche Verhältnisse luxuriös und großzügig eingerichtet und ein besseres hatte die Herberge nicht. Vorsichtig ließen Xena und der Wirt die Trage mit der Verletzten auf das breite Bett sinken und hoben Gabrielle dann behutsam hinüber auf die Matratze. Der Herbergsvater zündete Kerzen und Kohlen in einer kleinen Kohlenpfanne an, dann ging er hinaus um weitere Leuchter zu holen und den Leuten in der Schankstube zu sagen, dass Gabrielle noch lebte, auch wenn ihr Zustand kritisch war.
Gabrielles Gesicht hatte sich inzwischen verändert: seine Grundfärbung war immer noch die tödliche Blässe der letzten Stunden aber ihre Wangen hatten eine ungesunde rötliche Farbe angenommen. Hippokrates legte der Bewusstlosen eine Hand auf die Stirn. "Sie hat Fieber" sagte der Arzt wie zu sich selber. "Das ist gar nicht gut!" Xena sah ihn erschrocken an und er fügte schnell hinzu: "es ist nicht hoch, den Göttern sei Dank! Noch nicht .. Aber diese Nacht wird sich zeigen, ob Gabrielle überlebt. Wir müssen schnellstens ihre Wunden versorgen!"
Der Arzt schickte den zurückgekehrten Wirt nach warmem Wasser und sauberen Tüchern und begann dann sofort, Gabrielles provisorische Verbände zu entfernen, während Xena alle verfügbaren Kerzen anzündete und um das Bett verteilte. Dann half die Kriegerin Hippokrates, indem sie einen Leuchter hielt um ihm das benötigte Licht zu spenden oder Gabrielles Körper je nach Bedarf behutsam drehte und wendete. Es tat unendlich gut, die Freundin zu berühren, sie war so vertraut und nah, auch wenn ihre Haut sich ungewöhnlich schlaff anfühlte. Xena merkte einmal mehr, wie furchtbar einsam sie ohne die kleine Bardin wäre und ihr Herz krampfte sich angstvoll zusammen.
Zuerst kümmerte Hippokrates sich um die grauenvolle Wunde in Gabrielles linker Seite. Als er die Verbände entfernt hatte, sickerte erneut schwärzliches Blut aus dem tiefen Schnitt. Der Arzt reinigte die Wunde behutsam und dabei musste Xena die Bardin auf die Seite drehen, denn der Schwerhieb zog sich unerwartet weit auch über die Rückenpartie hin. Hippokrates' Bewegungen stockten als er den Verlauf des Einschnitts sah. Die überaufmerksame Xena bemerkte es sofort: "was ist? Warum machst du nicht weiter?" Hippokrates' Augenbrauen zogen sich grimmig zusammen. Dann sagte er, während er fortfuhr, Gabrielles Wunde zu reinigen: "laß' mich Gabrielle erst fertig versorgen. Danach reden wir, ja?"
Xena blieb nichts anderes übrig als zu warten und je länger sie das musste, desto größer wurde ihre Angst. Irgendetwas stimmte nicht! Wobei sich ihr allerdings die Frage stellte, was in aller Welt denn noch mehr nicht stimmen konnte als es sowieso schon der Fall war! Ihr gequälter Verstand weigerte sich, darüber nachzudenken, was wohl jetzt noch Schreckliches zu den bereits existenten fürchterlichen Tatsachen dazu kommen könnte. Xenas Mundwinkel zuckten. Sie hatte das Gefühl, als wären ihre Nerven Harfensaiten, die irgendein wahnsinnig gewordener Musiker spannte und spannte bis sie endlich rissen ..
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Hippokrates verband jetzt Gabrielles große Wunde und obwohl einiges gewohnt war Xena froh als der schreckliche Anblick endlich unter sauberen Verbänden verschwand. Mit ihrer Hilfe versorgte Hippokrates nun auch die anderen Wunden Gabrielles. Dann richtete der Arzt seinen Oberkörper auf, setzte sich auf die Bettkante und bedeutete Xena, das gleiche zu tun. Die große Kriegerprinzessin zuckte ängstlich zusammen, als er ihre Hände in die seinen nahm."Xena," sagte der Arzt, "ich muß dir leider noch etwas sehr . Unerfreuliches sagen." Die Angesprochene öffnete den Mund, brachte aber keinen Laut hervor. Hippokrates sah der großen Frau eindringlich in die Augen und fuhr fort: "du hast die schlimme Wunde in Gabrielles Seite gesehen, nicht wahr?" Xena nickte stumm. "Diese Wunde reicht weiter in Gabrielles Rücken hinein als ich auf den ersten Blick erkennen konnte. Der Schwerthieb hat auch ihre Wirbelsäule getroffen" sagte der Mediziner leise. Die erfahrene Kriegerin wurde kreidebleich. Allzu oft hatte sie nach einer Schlacht solche Verletzungen gesehen, nur zu oft erlebt, was fast immer die Folge davon war. Und trotzdem wollte sie es von dem Arzt hören, wollte sie Gewissheit. "Was bedeutet das?" fragte sie heiser. Traurig sah Hippokrates die schöne Frau vor sich an und sagte sanft: "ach Xena! Das weißt du doch genauso gut wie ich. Warum quälst du dich indem du es von mir hören willst?" "Sag' es mir!" Der Ton der Kriegerprinzessin war plötzlich hart und befehlend, ihre blauen Augen blitzten. Für einen Moment schien sie wieder ganz die Alte zu sein. Hippokrates seufzte. "Also gut, du willst es nicht anders: selbst wenn Gabrielle überlebt, kann es sehr gut sein, dass ihre Beine für immer gelähmt sein werden."
Da brach Xena zusammen. Sie schlug die Hände vor's Gesicht und schluchzte hemmungslos, die ganze Anspannung der letzten Tage und Nächte ergoß sich in ihren sintflutartigen Tränen. Hippokrates, der von der heilsamen Kraft des Weinens wusste, streichelte den Rücken und die zuckenden Schultern der großen Frau und wartete geduldig, bis sie sich beruhigt hatte. Dann reichte er ihr ein Tuch und sie putzte sich ausgiebig die Nase. Als sie damit fertig war, sagte der Arzt streng: "Xena!" Die Kriegerin hob den Kopf und Hippokrates sah sie beschwörend an: "Du musst jetzt sehr stark sein! Gabrielle ist noch nicht über den Berg, wir wissen nicht, ob sie diese Nacht überleben wird. Aber wenn sie überlebt, wird sie dich vielleicht mehr brauchen als je zuvor!" Xena schluckte schwer und sagte entschlossen: "ich werde alles für Gabrielle tun, alles! Wenn ich sie nur nicht verliere! Aber besteht denn gar keine Hoffnung, dass sie wieder ganz gesund wird?" Hippokrates sagte: "doch, es besteht Hoffnung, aber leider nicht viel. Wenn Gabrielle aufgewacht ist, wird sich ziemlich bald zeigen, ob sie .. ihre Beine je wieder wird gebrauchen können, nämlich dann, wenn die Wunde einigermaßen verheilt ist. Mit ganz, ganz großem Glück sind ihre Beine schon jetzt unversehrt."
LXXX
Nachdem Xena geweint hatte - was äußerst selten vorkam - war sie gefasst und klar auch wenn die Situation sich um keinen Deut verbessert hatte. Hippokrates gab ihr Medikamente für Gabrielle. Dann erklärte er ihr, wie sie die Wunden der blonden Bardin versorgen musste und was sie in dieser über Gabrielles Leben entscheidenden Nacht tun konnte, um das Fieber zu senken und der Verletzten Linderung zu verschaffen. Xena prägte sich alles, was Hippokrates sagte, genau ein und war zuversichtlich, mit diesen Informationen und ihren eigenen Kenntnissen in Heilkunde alles Menschenmögliche für Gabrielle tun zu können. Der Rest lag in der Macht der Götter, so ungern Xena das auch akzeptierte.Der Wirt hatte inzwischen ein kleines Abendessen zubereitet und brachte es zusammen mit einem Krug Wein auf einem Tablett hinauf ins Krankenzimmer. Hippokrates nahm es dankbar an und auch Xena zwang sich, etwas zu sich zu nehmen obwohl es ihr schwer fiel, die Bissen hinunter zu schlucken. Schließlich musste sie für die bevorstehende lange Nacht gestärkt sein und sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. Nachdem sie auch einen Becher Wein getrunken hatte, breitete sich eine wohltuende Wärme und Mattigkeit in ihrem erschöpften Körper aus. Am liebsten hätte sie bis zum erlösenden Vergessen weiter getrunken aber Gabrielle würde sie brauchen! Und so blieb es bei dem einen Becher. Auf der Bettkante sitzend verzehrten Kriegerin und Arzt schweigend ihre Mahlzeit und hingen dabei ihren sorgenvollen Gedanken nach.
Als Hippokrates aufbrach, stand der Mond bereits am Himmel. Der Arzt zwang den widerstrebenden Wirt, Geld für das Pferd aus dem Herbergsstall anzunehmen, welches er jetzt brauchte um darauf die Nacht hindurch nach Athen zu reiten. Zufuß würde Hippokrates die Hauptstadt nicht mehr rechtzeitig zum Kongreß erreichen können.
Obwohl sie Gabrielle nur ungern aus den Augen ließ, begleitete Xena den Arzt vor die Tür. Hippokrates umarmte die Kriegerin zum Abschied und sagte mit gespielter Fröhlichkeit: "grüß' Gabrielle von mir, Xena!" Und dann ernst: "bitte schick' mir Nachrichten über Gabrielles Zustand, ja?" Xena versprach es ihm. Dann sagte Hippokrates: "mögen die Götter euch beistehen!", bestieg sein Pferd und galoppierte hinaus in die kühle, mondhelle Nacht.
LXXXI
Bevor Xena wieder zu Gabrielle hinauf ging um über sie zu wachen dankte sie dem Wirt herzlich für alles und er bot Xena an, im Zimmer ein Bad für sie zu bereiten, so dass sie Gabrielle dabei im Auge behalten konnte. Die Kriegerin war derartig schmutzig dass sie das Angebot trotz der traurigen Situation gerne annahm.Als Xena im heißen Badewasser saß, spürte sie, wie ihre Schürfwunden brannten und sich die verspannten Muskeln ihres geschmeidigen Körpers ein wenig lockerten. Sie sah die reglos auf dem Bett liegende Gabrielle an und erinnerte sich an das gemeinsame Bad, welches sie erst vor ein paar Tagen ein paar Räume weiter genossen hatten. Wie lange das her zu sein schien! Wie lebendig Gabrielle damals gewesen war und wie gut sich ihr Körper an dem ihren angefühlt hatte! Sie hatten gescherzt und gelacht und die Unbequemlichkeiten der vorangegangenen Tage und Nächte waren ihnen an jenem Abend als das Unangenehmste erschienen, was ihnen widerfahren konnte. Und jetzt, nur wenige Tage später, saß sie, Xena, alleine im Badezuber und starrte hinüber zu der so unnatürlich still und reglos auf dem Bett liegenden fürchterlich verletzten Freundin. Xenas Augen füllten sich mit Tränen und sie wunderte sich, dass sie überhaupt noch welche hatte.
Dann fiel ihr ein, dass Cäsar in diesem Zimmer gewohnt und den infamen Plan ausgeheckt hatte, mit dem er nicht nur Naraja, sondern auch sie und Gabrielle ins Verderben gestürzt hatte. Xenas linke Augenbraue hob sich und ihr schöner Mund verzog sich voller Haß. Sie fühlte sich plötzlich unbehaglich, stieg schnell aus dem Badewasser und bedeckte hastig ihre Blöße. Während sie sich abtrocknete und saubere Kleidung anzog, versuchte sie, die Gedanken an Cäsar zu verdrängen. Als sie angekleidet war wusch sie ihr verdrecktes Lederkleid und den Brustpanzer und hängte alles zum Trocknen auf.
Während Xena noch auf diese Weise beschäftigt war, klopfte es zaghaft an die Tür und als sie öffnete, stand der Wirt davor. Er fragte die Kriegerprinzessin, ob er den Badezuber entfernen solle und ob sie für die Nacht noch etwas brauche. Xena hatte alles, was sie benötigte, ließ den Mann aber gerne den Wasserbottich fortschaffen. Als er wieder draußen war schloß sie die Tür und wandte sich dem Bett zu. Endlich war sie mit Gabrielle alleine! Die Stunden, in denen Leben und Tod um ihre Freundin kämpfen würden waren heran gebrochen.
LXXXII
Xena saß auf einem Stuhl neben dem Bett und sah mit hellwachen leuchtendblauen Augen auf ihre Freundin herunter. Besorgt achtete sie auf die kleinste Veränderung im Gesicht der Bardin und immer wieder fühlte sie deren Stirn um festzustellen, ob das Fieber gestiegen sei.Lange Zeit passierte nichts und Xena begann zu hoffen, dass das Leben den Kampf um Gabrielle ohne großen Widerstand des Todes gewann. Ihre Aufmerksamkeit ließ ein wenig nach als sie sich ganz in den Anblick des vertrauten Gesichtes in den Kissen versenkte und liebevoll jedes noch so kleine Detail darin begrüßte wie einen alten Kameraden.
Mit dem Blick auf Gabrielle begann Xena mit offenen Augen zu träumen, erinnerte sich an unzählige kleine und große Begebenheiten aus ihrem jahrelangen Zusammensein mit der kleinen Bardin. Wie schön war es gewesen, dieses wilde, freie Leben zu zweit! Trotz aller Gefahren, Abenteuer und Unbequemlichkeiten. Wie wunderbar war es, eine solche Gefährtin zu haben, eine Freundin, die sogar bereit war, für einen in den Tod zu gehen! So etwas hatte nicht jeder! Und Xena, die sonst nicht viel mehr besaß als die Kleider auf ihrem Leib, den Inhalt ihrer Satteltaschen, ihre Waffen und ihre treue Stute Argo, bemerkte plötzlich, dass sie um ein vielfaches reicher war als so mancher mächtige König auf dieser Erde. Noch jedenfalls.
LXXXIII
Unsanft landete Xenas Bewusstsein auf dem harten Boden der Realität. Noch jedenfalls. Wieder erfaßte die inzwischen schon fast vertraute Angst um Gabrielle das Herz der Kriegerin mit eisigem Griff. Sie nahm die fast durchsichtig wirkenden kalten Finger der Freundin in ihre großen, warmen Hände und stellte sich vor, wie ihre Lebenskraft in den geschwächten Körper strömte, so wie zuvor ihr Blut. "Komm' schon, Gabrielle! Streng' dich ein bisschen an!" flüsterte die Kriegerin aufmunternd.Dann schoß ihr ein neuer Gedanke durch das Gehirn und durchbohrte es wie der Pfeil der Armbrust einen Apfel: was, wenn Gabrielle überlebte aber ihre Beine tatsächlich gelähmt waren? Xena erschauderte. Wie sollte die lebensfrohe Frau damit fertig werden? Unvorstellbar, dass sie vielleicht nie wieder würde gehen, laufen, rennen, reiten, schwimmen können! Nie wieder mit dem Stock würde kämpfen können. Und unvorstellbar, dass sie möglicherweise nie wieder kreischend mit den Füßen unter der Decke strampeln würde, wenn Xena ihre kalten Füße an ihre nackten Waden hielt. Weil sie es nicht mehr fühlen konnte. Aus Xenas Kehle drang ein gequälter Laut, Tränen hatte sie keine mehr.
Aber der Dämon, der in ihrem Kopf zu sitzen und ihre Gedanken zu lenken schien, war noch nicht fertig mit ihr. Wenn es so wäre, wenn Gabrielle all das nicht mehr können würde: wäre es dann nicht besser, sie stürbe diese Nacht ohne diese Qualen kennen gelernt zu haben? Der fürchterliche Gedanke zerriß Xena das Herz. Nein, nein, das konnte, das durfte einfach nicht besser sein! - Und doch: wie entsetzlich wäre ein solches Schicksal für die junge, lebhafte Bardin. Verdammt zu sein zu lebenslanger Bewegungslosigkeit! Was für eine Höllenqual ..
Wie von der Tarantel gestochen sprang Xena auf die Füße, war mit zwei langen Schritten bei ihrem Schwert und kehrte damit zum Bett zurück. Gabrielle lag unverändert da, genau so wie sie sie vor Stunden dort hingelegt hatten.
Xena zitterte am ganzen Leib als sie nun die Klinge zog, ohne den verstörten Blick vom Körper ihrer geliebten Freundin zu nehmen. Unendlich mühsam hob sie die Waffe, die in ihren Händen plötzlich so viel zu wiegen schien wie die ganze Welt und richtete die Spitze auf Gabrielles Herz, bereit, zuzustoßen. Tonlos flüsterte sie: "Gabrielle, du bist mein Ein und Alles! Ich liebe dich!"
Xena hielt inne. "Du bist mein Ein und Alles" hallte es in ihr nach. Plötzlich musste sie sich vorstellen wie es wäre, wenn sie selbst diejenige mit gelähmten Beinen wäre und Gabrielle an ihrer Stelle. Würde sie lieber tot sein wollen als an Gabrielles Seite, wenn auch gelähmt? - - -
"Nein!" Xena ließ erleichtert das Schwert sinken. Sie würde leben wollen, mit und für Gabrielle, trotz allem. Sie gehörten einfach zusammen! Und sie wusste plötzlich, dass Gabrielle sich genauso entscheiden würde.
Natürlich würde sich ihr Leben sehr verändern, mit dem Umherziehen wäre es vorbei. Aber sie könnten vielleicht eine kleine Farm haben, irgendwo in einem fruchtbaren Tal, mit ein paar Feldern, Tieren und eventuell einem kleinen Weinberg. Gabrielle würde in der Sonne auf der Veranda sitzen und auf ihren geliebten Schriftrollen von ihren gemeinsamen Abenteuern berichten. Hin und wieder würde sie einen warmen Blick zu Xena herüber werfen, die damit beschäftigt war, irgendetwas zu reparieren oder dergleichen. Und Xena würde immer gut für Gabrielle sorgen. Sie würden glücklich miteinander sein, trotz Gabrielles Behinderung. Außerdem war ja noch gar nicht sicher, ob Gabrielles Beine tatsächlich gelähmt sein würden.
Mit aller Kraft schleuderte Xena ihr Schwert von sich, zitternd blieb es mit der Spitze im Fensterrahmen stecken. Und dann erinnerte Xena sich an den leidenschaftlichen Kuß, den sie und Gabrielle auf Cäsars Fest geteilt hatten .
LXXXIV
Die Kriegerprinzessin war so versunken in ihre Erinnerungen dass sie buchstäblich aufschrak als Gabrielles Hand sich plötzlich in die Matratze krallte. Das Gesicht der Verletzten hatte eine fiebrig rote Färbung angenommen und auf ihrer Stirn stand plötzlich kalter Schweiß. Durch Xenas Körper jagte ein Adrenalinstoß und versetzte ihn in Alarmbereitschaft. Schwer atmend legte die dunkle Frau ihre Hand auf die Stirn der Bardin: sie war glühend heiß! In Xena wallte Panik auf aber sie drängte das handlungsunfähig machende Gefühl mit aller Macht zurück. Sie musste einen klaren Kopf behalten, koste es, was es wolle!Mit zitternden Händen schlug die Kriegerin die Bettdecke von Gabrielles Beinen zurück. Dann nahm sie einen Verband, tränkte ihn mit kaltem Wasser aus einer bereit stehenden Schüssel, wrang ihn aus und wickelte ihn zügig um die Waden der Fiebernden. Als nächstes nahm sie ein dickes, trockenes Tuch und packte Gabrielles eingewickelte Unterschenkel nochmals damit ein. Nachdem Xena die Bettdecke wieder über Gabrielles Beine gelegt hatte, gab es für sie nichts weiter zu tun. Sie konnte nur abwarten und hoffen, dass der Wadenwickel, den sie regelmäßig wechseln würde, Gabrielles hohes Fieber senkte.
Stunde um Stunde saß Xena am Bett ihrer kranken Freundin, wechselte regelmäßig den kalten Umschlag, wischte ihr dann und wann den Schweiß von der heißen Stirn und befeuchtete immer wieder Gabrielles aufgesprungene Lippen mit einem nassen Schwamm. Gelegentlich stand sie auf um die herunter gebrannten Kerzen zu erneuern.
LXXXV
Tief in der Nacht wurde Gabrielle plötzlich unruhig. Erst krochen die blassen Finger ihrer linken Hand spinnengleich über die Bettdecke als würden sie etwas suchen und gaben erst Ruhe als Xena, die das nicht mit ansehen konnte, sie in ihre Hände nahm und festhielt. Gabrielles rechter, verletzter Arm lag im Gegensatz dazu unheimlich starr an ihrer Seite als würde er nicht zu ihr gehören. Außerdem bekam die Fiebernde jetzt Schüttelfrost.Ein wenig später fing die Patientin an, unverständlich vor sich hin zu murmeln. Dieses Murmeln steigerte sich nach und nach zu einem halblauten Schreien und Stöhnen durchsetzt von abgerissenen Sätzen, die zwar aus Gabrielles Mund kamen aber mit einer Stimme hervorgestoßen wurden, die Xena nicht zu kennen schien. "Xena! Nein!........... Was soll das?.......... Ahhhh! . Paß' auf! .. Cäsar . Wo ist Naraja? das darfst du nicht! .."
Es war grauenvoll anzuhören und selbst der Wirt in seinem Zimmer im Erdgeschoß saß wach im Bett und lauschte voller Entsetzen auf die unmenschlich klingende Stimme, die aus dem Stockwerk über ihm drang. "Mögen die Götter ihr gnädig sein!" flüsterte der Mann und machte mit der Hand ein Dämonen abwehrendes Zeichen.
Xena saß hilflos neben Gabrielle und sendete ein Stoßgebet nach dem anderen an Aesculap. Nur er konnte der kleinen Bardin jetzt noch helfen! Eindringlich sagte Xena zu der Kranken: "reiß' dich zusammen, Gabrielle! Ich hab' dir von meinem Blut gegeben. Das kannst du doch nicht ablehnen!"
Wieder wechselte die Kriegerin den Wadenwickel, tauschte das backofenwarme nasse Tuch gegen ein kaltes aus. Das war jetzt gar nicht mehr so einfach, denn inzwischen schien Gabrielles gesamter glühender Körper in Bewegung zu sein. Sie warf ihren Kopf auf dem naß geschwitzten Kissen hin und her, das kurze blonde Haar klebte ihr am Schädel. Xena fing erneut die um sich schlagende linke Hand der Bardin ein und hielt sie fest, damit sie sich nicht am Bettgestell verletzte. Gabrielles Oberkörper bäumte sich auf und ihre Hand riß sich los aus Xenas Griff und schlug in die Luft als wolle sie einen unsichtbaren Gegner abwehren. Sogar der rechte Arm geriet in Bewegung, wenn auch durch die Verbände gehemmt.
LXXXVI
Xena hatte alle Hände voll damit zutun, ihre Freundin zu bändigen und so bemerkte sie zuerst nichts Ungewöhnliches. Aber dann sah sie es: während Gabrielles gesamter Oberkörper, ihre Arme und ihr Kopf vom Fieberwahn geschüttelt in Bewegung waren, lagen ihre eingewickelten Beine unter der Bettdecke unnatürlich still. Die Kriegerin erstarrte mit geweiteten Augen und ihre Lippen öffneten sich in stummem Entsetzen. Alles andere vergessend schlug sie eilig die Decke von Gabrielles Beinen zurück um sich Gewissheit zu verschaffen. Nein, da rührte sich nichts. Natürlich konnten sich die Beine nicht bewegen, sie waren ja schließlich fest eingewickelt! Xenas Finger flogen als sie erst das trockene und dann das nasse Tuch von Gabrielles Unterschenkeln entfernte. Dann starrte sie die Gliedmaßen beschwörend an. Nichts, nicht die kleinste Regung zeigte sich, nicht einmal ein Zeh zuckte.Xena überlief es erst heiß und dann wurde ihr eiskalt. Also stimmte es. Gabrielles Beine waren gelähmt! Ohne auf das Toben des restlichen Körpers der Freundin zu achten, bereitete die Kriegerin mechanisch einen neuen Umschlag und wickelte Gabrielles Beine wieder ein. Dann breitete sie mit einer unendlich langsamen Bewegung die Decke darüber.
Ein erneutes Aufbäumen Gabrielles zwang die unter Schock stehende Xena zum Handeln. Die Kriegerin beugte sich über die Freundin, ergriff behutsam ihre Unterarme und drängte sie mit dem eigenen Oberkörper sanft auf die Matratze zurück.
Xena hatte keine Kraft mehr dazu, sich wieder aufzurichten. Und so drückte sie mit dem Gewicht ihres Oberkörpers die Bardin auf das Bett nieder und hielt ihre Handgelenke fest. Sie schmiegte ihre Wange an die schweißnasse der Freundin und eine Strähne von ihrem langem schwarzem Haar lag quer über Gabrielles Gesicht, die aber bemerkte es nicht. Mit der Nase im Kopfkissen bekam Xena zwar kaum Luft aber nicht einmal das konnte sie dazu bringen, sich zu bewegen. Die Kriegerprinzessin fühlte Gabrielles Körper unter dem ihren und atmete den vertrauten Geruch der Gefährtin ein. Trotz allen Elends wirkte die Nähe der Freundin beruhigend auf die völlig erschöpfte Kriegerprinzessin und eigenartigerweise schien es auch der fiebernden Gabrielle so zu gehen. Ihr Körper hörte auf zu toben und sie wurde still, ihr Atem ging nun regelmäßiger.
Der Wirt in seinem Bett horchte voller Sorge auf die von oben kommenden Geräusche. Als es plötzlich still wurde, bekam er Angst: entweder hatte Gabrielle die Krise überstanden - oder aber sie war tot. Der gute Mann hätte viel darum gegeben, nicht bis zum nächsten Morgen auf die Antwort warten zu müssen.
LXXXVII
Xena war wohl in ihrer unbequemen Position eingeschlafen, denn es dämmerte bereits als sie ihren schmerzenden Kopf von Gabrielles Kissen hob und sich ächzend aufrichtete. Alle Muskeln waren verspannt wie nach einer ungewohnten Yogaübung und ihr rechter Arm war erst gefühllos und dann fing es an in ihm zu stechen als würde er mit tausend Nadeln malträtiert. Die groß gewachsene Kriegerin verzog das Gesicht, dann streckte sie sich, rieb sich die Augen und fuhr sich mit den Händen glättend über das wirre schwarze Haar. Sie sah furchtbar aus aber selbst wenn sie es gewusst hätte, wäre es ihr im Moment egal gewesen. Sie sah auf Gabrielle hinunter.Die schlafende Bardin wirkte ein wenig platt gedrückt sonst aber recht lebendig. Ihr Atem ging ruhig und tief und auf ihrem Gesicht lag ein rosiger Schimmer. Als Xena zur Kontrolle die Stirn Gabrielles fühlte, war sie kühl und trocken. Ihre Gefährtin hatte die Krise überstanden und befand sich auf dem Weg der Genesung. Das Bett allerdings sah aus, als hätte in der Nacht eine Schlacht darin getobt ..
Die Kriegerin durchflutete ein warmes Glücksgefühl. Sie lächelte froh auf ihre schlummernde Freundin hinunter jedoch ohne sie zu berühren da sie ihren Schlaf nicht stören wollte. Dann sagte sie leise: "danke!" ohne jemand bestimmtes zu meinen.
Nun fiel Xena der Zustand von Gabrielles Beinen wieder ein aber selbst das konnte ihre Freude darüber, dass Gabrielle außer Lebensgefahr war, nicht ernsthaft trüben und sie dachte hoffnungsvoll bei sich: "Hippokrates hat doch gesagt, dass Gabrielles Beine nur mit sehr, sehr viel Glück völlig unversehrt sein könnten. Und er hat auch gesagt, dass es sein kann, dass das Gefühl in ihre Beine zurückkehrt, wenn die Wunde einigermaßen verheilt ist."
Aber so sehr sie auch positiv zu denken versuchte, mischte sich in Xenas Freude über Gabrielles Rettung doch zunehmend die Sorge darüber, wie die Bardin auf die Lähmung ihrer Beine reagieren würde. Die Kriegerin nahm sich vor, einen möglichst unbeschwerten Eindruck auf ihre Freundin zu machen und ihr zu sagen, dass sie ihre Beine wahrscheinlich wieder würde gebrauchen können wenn die Wunde in ihrer Seite einigermaßen verheilt wäre. Und sie entschied, selbst ganz fest daran zu glauben!
LXXXVIII
Lange saß Xena in der Stille des frühen Morgens reglos da und sah Gabrielle beim Schlafen zu. Sie genoß jeden Atemzug der Freundin und begleitete ihn mit Kraft spendenden Gedanken. Mit jedem Einatmen schien Gabrielle sich einen weiteren Schritt vom Tod zu entfernen und Xena verstand plötzlich, warum die Inder und Menschen noch weiter im Osten dem Atem solch große Bedeutung zuschrieben.Die Zeit verging und Eos erreichte mit ihrem Gespann den östlichen Horizont. Erst färbte ihr Glanz nur die kleinen weißen Wolken am noch indigoblauen Himmel rosarot aber dann erschien die wunderschöne Göttin in ihrer ganzen Pracht und der Himmel erstrahlte in allen nur vorstellbaren Nuancen von rot, orange und rosa. Das Zimmer von Xena und Gabrielle hatte ein Fenster nach Osten und so schweifte der Blick der großen Frau hin und her zwischen der schlafenden Freundin und dem göttlichen Schauspiel am Himmel. Es kam ihr vor, als erlebe die Welt ihren allerersten Tag.
Nicht lange und Helios folgte der Göttin der Morgenröte an den hell werdenden Himmel. Angezogen von der Schönheit seiner vorangehenden Schwester schaute er bald durch die Fenster der Herberge und streichelte Gabrielles Gesicht. Als sie nicht darauf reagierte, kitzelte er sie mit seinen Strahlen ein wenig an der Nase. Gabrielle zog die Nase kraus und musste niesen. Sie öffnete die Lider und sah direkt in Xenas blaue Augen die zu strahlen schienen wie zwei von innen erleuchtete Saphire. Gabrielles Herz tat einen freudigen Sprung und sie lächelte ihr liebenswertes schiefes Lächeln. "Xena!" Die Kriegerprinzessin brachte vor Freude keinen Ton hervor. Wortlos ergriff sie Gabrielles linke Hand, führte sie an ihre Lippen und bedeckte sie mit innigen Küssen. Sie konnte den Blick nicht von der Freundin wenden und Tränen liefen ihr über die Wangen. Gabrielle ließ sie liebevoll gewähren.
Als Xena sich ein wenig gefasst hatte, sagte sie heiser: "Ach Gabrielle! Du hast keine Ahnung wie froh ich bin das ich dich wieder hab'!" Die Bardin streichelte Xenas Hand. "Was ist passiert?" fragte sie. "Ich kann mich nur noch daran erinnern, mit deinem Schwert in der Hand vor der Tribüne mit Cäsar gestanden zu haben .." Gabrielle lief ein Schauder über den Rücken. "Und dass du einen Salto gemacht hast und neben mir gelandet bist .. Danach weiß ich nichts mehr." Xena mußte bei der Erinnerung an die vergangenen vierundzwanzig Stunden schlucken. "Du bist ohnmächtig vom Blutverlust geworden. Aber Hippokrates war zufällig da und " "Hippokrates?" Gabrielle sah die Kriegerin erstaunt an. "Ja, Hippokrates. Er war auf dem Weg nach Athen und kam zufällig hier vorbei. Er hat den Kampf gesehen und dir eine Bluttransfusion gegeben." "Eine Bluttransfusion? Was ist das?" fragte Gabrielle verständnislos. "Er hatte ein Gerät mit dem er Blut aus meinem Arm in deinen laufen lassen konnte," erklärte Xena knapp. Gabrielle begriff: "also fließt jetzt dein Blut in meinen Adern," stellte sie ehrfürchtig fest. Sie sah Xena an: "danke, Xena!" Die Kriegerin machte ein ulkiges Gesicht: "keine Ursache, verehrte Frau Bardin. Gern geschehen!" Gabrielle musste lachen und für Xena schien es nichts Schöneres auf der Welt zu geben als den Klang dieses Gelächters.
Doch plötzlich verstummte Gabrielle und ihr Blick schien sich nach innen zu richten. Einen Moment lang verharrte sie reglos, dann wurde sie blaß und sah Xena mit schreckgeweiteten grünen Augen an: "was ist mit meinen Beinen, Xena? Ich kann sie nicht fühlen!"