Xena die Kriegerprinzessin
Das Gottesurteil Teil 5
By Xenina
LXXXIX
In diesem heiklen Moment wurde die hart geprüfte Xena wieder ganz die große Kriegerprinzessin: stark, beherrscht und klar, eine Frau, die auch und gerade in Krisenzeiten immer alles im Griff hatte - oder zumindest fast immer.Sie sah Gabrielle unter zusammengezogenen Augenbrauen durchdringend an, nahm abermals ihre Hand und sagte fast befehlend: "Gabrielle! Versprich mir, dass du mir zuhören wirst ohne mich zu unterbrechen bis ich fertig bin. Kriegst du das hin?" Die Bardin kannte ihre Freundin nur zu gut und wusste genau, dass diese ihr etwas sehr Ernstes zu sagen hatte wenn sie so sprach und dreinschaute. Und sie wusste auch, dass Xena in dieser Stimmung keine emotionalen Ausbrüche dulden würde denn für gewöhnlich ging es dann ums Ganze. Die verwundete Bardin schloß für einen Moment müde die Augen. Dann nahm sie sich zusammen, blickte Xena gerade heraus an und sagte mit fester Stimme: "Ja, Xena, ich werde dir ohne einen Muckser bis zu Ende zuhören."
"Gut!" Die Kriegerin zögerte einen Moment und schien zu überlegen wie sie anfangen sollte. Dann begann in möglichst sachlichem Ton: "du erinnerst dich daran, dass Achillaeus dich im Kampf mehrmals mit seinem Schwert getroffen hat?" Diese Frage klang mehr wie eine Feststellung und Gabrielle hütete sich, ihr Schweigegelübte zu brechen. Xena zählte auf: "er traf dich vier Mal: einmal am rechten Arm, dann unwesentlich an Stirn und Oberschenkel - und in die linke Seite. Die ersten drei Verletzungen sind mehr oder weniger harmlos. Aber der Hieb in deine Seite hätte dich halbiert wenn du nicht die Rüstung getragen hättest! Leider konnte sie den Schlag aber nicht ganz abhalten und so ist Achillaeus' Schwert tief in deinen Körper eingedrungen. Wie durch ein Wunder sind alle inneren Organe verschont geblieben. Stattdessen hat die Klinge allerdings - deine Wirbelsäule verletzt."
XC
Nun war es endlich heraus aber Xena konnte den entgeisterten Blick der weit aufgerissenen Augen Gabrielles kaum ertragen. Die Bardin fing an zu zittern und schien nun doch etwas sagen zu wollen. Schnell fuhr die Kriegerin fort: "Aber Hippokrates hat deine Verletzung gründlich untersucht und gesagt, dass Hoffnung besteht dass du deine Beine wieder normal gebrauchen und fühlen kannst, wenn die Wunde einigermaßen verheilt ist."Gabrielles Mund öffnete und schloß sich langsam ohne dass ein Laut hervor kam und die Augen der Bardin blickten sie so jammervoll an, dass es Xena das Herz in der Brust umzudrehen schien und sie kurz davor war, die mühsam aufrecht erhaltene Fassung zu verlieren. "Gabrielle! Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. BITTE!" Doch Gabrielle sah sie nur immer weiter an, mit den Augen eines waidwunden Tiers.
Da war es mit Xenas Beherrschung vorbei. Tränen traten in ihre Augen und rollten über ihre Wangen als sie flehte: "bitte, Gabrielle, schau' mich nicht so an! Ich halte das nicht aus! Du bedeutest mir alles auf der Welt, ohne dich ist mein Leben grau und leer . Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren . solche Angst!" Xena versagte die Stimme. Sie schluckte ihre Tränen herunter und fuhr dann heiser fort: " weißt du noch, was du in der Nacht vor dem Kampf im Gefängniszelt zu mir gesagt hast als ich nicht wollte, dass du dein Leben für mich auf's Spiel setzt? Du hast zu mir gesagt: "wo auch immer du bist, ich will an deiner Seite sein!" Du bist an meiner Seite, Gabrielle, und ich an deiner. Laß' uns weiter zusammen durch dieses Leben gehen, was auch immer es bringen mag. Ich brauche dich! - Ich liebe dich!" Die Kriegerin vergrub das Gesicht in ihren Händen.
XCI
Die schreckliche Erfahrung, die eigenen Beine nicht mehr fühlen und bewegen zu können und Xenas Bericht hatten die arme Gabrielle furchtbar schockiert. Während sie ihre Freundin sprachlos ansah, rang sie mühsam darum, mit den grausamen Tatsachen fertig zu werden. Dann sah sie Xenas Qual und das Mitleid, welches sie für die Freundin empfand lenkte sie von ihrer eigenen schrecklichen Situation ab. Sie wäre nicht Gabrielle gewesen, wenn sie nicht in irgendeinem Winkel ihrer Seele noch Kraft gefunden hätte, die verzweifelte Xena zu trösten.Die Kriegerin fühlte, wie Gabrielle ihr sachte die Hand auf den Oberschenkel legte. "Xena!" hörte sie die vertraute Stimme liebevoll sagen. Sie nahm die Hände vom Gesicht und sah Gabrielle an. In deren grünen Augen standen immer noch Schmerz und Entsetzen aber sie waren in den Hintergrund getreten und hatten Wärme und Liebe Platz gemacht. Die tapfere Bardin sagte: "ich liebe dich auch, Xena!" Die Kriegerin legte ihre Hand auf Gabrielles und lächelte ihre Freundin unsicher an. Die sagte: "du hast recht: das einzige, was zählt, ist, dass wir zusammen sind! Ich bin sicher, wir werden einen Weg finden, dieses Leben auch weiterhin gemeinsam zu meistern." Sie stockte und ergänzte dann leise: "- so oder so ." Wieder schwieg sie einen Moment und starrte auf die Bettdecke. Dann hob sie den Blick, sah Xena an und sagte mit einem verkrampften Lächeln: "Aber Hippokrates hat ja gesagt, dass meine Beine vielleicht auch wieder ganz in Ordnung kommen. Du hast recht: wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben!"
Xena wusste, was es die Freundin kostete, so zu sprechen und ihr war klar, dass Gabrielle das nur tat um sie zu trösten. Im Herzen der Kriegerin mischten sich Bewunderung, Dankbarkeit, Liebe und Hoffnung mit Mitleid, Schmerz und Verzweiflung in einem tumultartigen Durcheinander. Sie drückte Gabrielles Hand und nickte, unfähig, ein Wort heraus zu bringen.
XCII
Die Gefährtinnen sahen sich eine ganze Weile schweigend an und waren trotz allem unendlich froh, einander wieder zu haben.Aber Gabrielle war noch sehr schwach und die Aufregung der vergangenen Stunde hatte sie erschöpft. Xena bemerkte es, räusperte sich und sagte: "du musst etwas trinken, Gabrielle und dann werde ich nach deinen Wunden sehen. Besonders nach der in deiner Seite, du warst heute Nacht sehr unruhig und ich mach' mir Sorgen, dass die Wunde sich wieder geöffnet hat." Errötend fügte sie hinzu: "außerdem bin ich mit meinem Oberkörper auf deinem eingeschlafen als ich dich festhielt. Hoffentlich hat dir das nicht geschadet ." Sie stützte den Kopf der Bardin und hielt ihr einen Becher mit Wasser an die Lippen. Gabrielle trank und danach sagte sie scherzhaft: "mach' dir da mal keine Sorgen! Deine Nähe hat mir doch noch nie geschadet - im Gegenteil!" Überrascht von Gabrielles Tonfall sah Xena die Freundin an und bemerkte das schalkhafte Grinsen auf dem müden Gesicht. Wie gut es tat, Gabrielle wieder so zu sehen! Xena grinste schief zurück und ersetzte das neuartige Pflaster auf Gabrielles Stirn durch ein Frisches nachdem sie Heilsalbe auf die sauber verkrustete Verletzung gestrichen hatte. Es würde keine auffällige Narbe davon zurück bleiben.
Um die Wunde in Gabrielles linker Seite zu versorgen musste Xena ihre Patientin behutsam auf die rechte drehen. Dabei fiel Gabrielles Blick auf Xenas immer noch im Fensterrahmen steckendes Schwert. Erstaunt fragte sie: "Nanu, was macht denn dein Schwert da drüben im Fensterrahmen?" Xena beschäftigte sich intensiv mit dem Verband. "Och - ich habe es .. weißt du ..es ist irgendwie dahin geraten." Gabrielle stieß ein kurzes Lachen aus: "Ach komm' schon, Xena! Dein Schwert ist doch nicht von selber im Fensterrahmen stecken geblieben!" Xena erwiderte knapp: "ich erzähl's dir ein andermal, o.k.?" Gabrielle wusste, dass sie jetzt nicht mehr aus der Freundin herausbekommen würde. Außerdem nahm ihr Xena gerade den Verband ab und das tat ziemlich weh. Gabrielle hielt die Luft an.
Als Xena den Verband so vorsichtig wie möglich entfernt hatte, stellte sie erleichtert fest, dass die Verletzung gut aussah. Sie hatte die Belastungen der Nacht problemlos überstanden, es war lediglich etwas frisches Blut aus dem Schnitt gesickert. "Unser Blut," dachte Xena unwillkürlich und bekam eine Gänsehaut. Dann berichtete sie Gabrielle vom guten Zustand der tiefen Wunde, versorgte sie und verband sie wieder.
Gabrielle war heilfroh, als die Prozedur vorüber war, sie war erschöpft und schwitzte vor Anstrengung. Besorgt beeilte Xena sich, nun auch die Wunden an Arm und Oberschenkel zu behandeln und sagte, als sie damit fertig war: " so, jetzt trinkst du noch einen Becher Wasser und dann musst du schlafen! Wenn du aufwachst, bekommst du eine leckere Mahlzeit, damit du schnell wieder zu Kräften kommst! Ich werde bei dir sein und auf dich aufpassen." Gabrielle sah die Freundin müde an: "danke, Xena! Danke für alles!"
XCIII
Als die Bardin eingeschlafen war, zog Xena eilig ihr Schwert aus dem Fensterrahmen und ging in die Schankstube hinunter, in der der Wirt bereits hantierte und nervös auf Nachricht von Gabrielles Zustand wartete. Als er die Kriegerprinzessin müde die Stufen herunter stiefeln sah, blickte er ihr gespannt entgegen."Gabrielle lebt!" sagte Xena noch auf der Treppe und der Wirt strahlte erleichtert übers ganze Gesicht. "Aber es kann sein, dass ihre Beine für immer gelähmt bleiben werden" fuhr Xena leise fort, setzte sich seufzend auf eine Bank und streckte die langen Beine aus. Der stämmige Mann sah sie erschrocken an, rang seine Hände und wusste nicht, was er sagen sollte. Die Kriegerin senkte traurig den Kopf. "Wie schrecklich!" brachte der Wirt schließlich hervor. "Bitte sag' mir, was ich für euch tun kann. Gabrielle soll alles bekommen, was irgendwie zu ihrer Heilung beitragen könnte!" Xena sah ihn an: "dafür bin ich dir wirklich sehr dankbar! Wenn's dir nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne schnell eine Kleinigkeit essen und trinken, bevor ich wieder zu Gabrielle hinauf muß. Dann sollte auch sie etwas leicht Bekömmliches essen wenn sie aufwacht und das Bett bräuchte neue Laken. Warmes Wasser wäre auch schön ."
Der Wirt war froh, etwas für seine Gäste, die ihm inzwischen sehr ans Herz gewachsen waren, tun zu können. Als er Xena bewirtet hatte, setzte er sich zu ihr in die noch leere Gaststube und erzählte: "die Römer haben die Nacht über eilig ihr Lager abgebrochen und sind heut' morgen in aller Frühe abgezogen." Xena kaute und schluckte bevor sie sagte: "Den Göttern sei Dank! Ich hoffe, wir werden diesen Bösewicht Cäsar nie wieder sehen!" Unwillkürlich musste sie an ihre Kreuzigungsvision denken, die ja seit längerer Zeit ihre unliebsame Begleiterin war und die ihre krankmachende Wirkung gerade in den letzten Tagen entfaltet hatte, als sie Xena einen Großteil ihrer Zuversicht und ihres Mutes genommen und sie beinahe handlungsunfähig gemacht hatte. Oh nein! Cäsar und die Kriegerin waren gewiß noch nicht miteinander fertig!
Der Wirt berichtete weiter: "Bevor die Römer abgezogen sind, hat Cäsar uns den Leichnam von Naraja, die ja Griechin ist, mit einer Eskorte geschickt. Er ist zwar fest in Tücher eingewickelt aber wir können nicht mehr lange mit der Einäscherung warten. Die Zeremonie wird morgen früh vor Sonnenaufgang stattfinden." Während sie zuhörte hatte Xena zu Ende gegessen. Jetzt spülte sie mit einem kräftigen Schluck Ziegenmilch nach, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und fragte: "sag' mal: wäre es vielleicht möglich, dass Naraja auf dem Platz vor der Herberge eingeäschert wird? Ich bin sicher, dass Gabrielle gerne dabei wäre aber sie ist nicht transportfähig." Der Wirt nickte. "Ich will sehen, was sich machen lässt. Heute Abend geb' ich dir bescheid."
XCIV
Beinahe unmerklich zog Helios' Gespann über das Firmament und der Tag verging. Xena verbrachte ihn am Krankenbett und mit der Pflege Gabrielles, die abwechselnd wach war und schlief. Xena bewegte sie dazu, ein wenig zu essen und bezog das Bett mit frischen Laken. Zwischendurch trug sie dem diensteifrigen Wirt auf, einen Boten mit der Nachricht von Gabrielles Überleben zu Hippokrates nach Athen zu schicken.Xena erzählte der Bardin von der Einäscherung Narajas am nächsten Morgen. Wie erwartet sagte Gabrielle: "da müssen wir unbedingt dabei sein und Naraja die letzte Ehre erweisen!" Xena nickte: "ich hab' mir gedacht, dass du das sagen wirst. Darum habe ich den Wirt gebeten, dafür zu sorgen, dass die Zeremonie auf dem Platz vor der Herberge stattfindet. Du bist noch nicht transportfähig!" Gabrielle streichelte Xenas Hand und sagte sanft: "danke, Xena!"
Wenn Gabrielle wach war, schien sie heiter und gutgelaunt zu sein, froh, bei Xena zu sein. Hinter dieser fröhlichen Fassade lauerte jedoch die Verzweiflung. Die Kriegerin erkannte das an einem unsteten Flackern in Gabrielles Blick, welches früher nicht da gewesen war. In Momenten, in denen die Bardin sich unbeobachtet glaubte, schwand das Lächeln aus ihrem Gesicht, es verdüsterte sich und sie bekam wieder diesen eigenartigen, nach innen gerichteten Blick.
Es schmerzte Xena unendlich, das mit an zu sehen. Sie fühlte sich schrecklich hilflos - und schuldig! Als sie wieder einmal am Bett saß und die schlafende Gabrielle ansah, erinnerte sie sich daran, dass Naraja ihr einst prophezeit hatte, sie würde Gabrielle einmal sehr weh tun. Und jetzt schien es ganz so, als hätte die "Botin des Lichts" Recht behalten: wäre Xena nicht gewesen hätte Gabrielle nicht für sie kämpfen müssen, wäre demzufolge auch nicht verwundet worden und könnte ihre Beine jetzt noch gebrauchen. Dieser Gedanke bedrückte die Kriegerin maßlos und sie überlegte verzweifelt, wer oder was noch helfen könnte, sollten Gabrielles Beine gelähmt bleiben. Aber so sehr sie auch nachdachte, es wollte ihr einfach nichts und niemand einfallen ..
Am Abend wechselte Xena wieder Gabrielles Verbände. Der Wirt brachte etwas zu essen für beide Frauen und die Kriegerin ließ ihn kurz hinein zu der Verwundeten. Allen anderen Leuten war es verboten, auch nur in die Nähe der Zimmertür zu kommen und die Gäste im Schankraum waren rücksichtsvoll und unterhielten sich nur gedämpft damit die Kranke die nötige Ruhe bekam.
Als der Wirt vor dem Bett stand und nicht wusste, was er sagen sollte, lächelte Gabrielle ihn an und sagte: "Hey! So sehen wir uns also wieder. Wie geht's dir?" Der Wirt stotterte herum und hatte Mühe, einen vernünftigen Satz zustande zu bringen. Aber in seinen Augen standen deutlich lesbar Zuneigung und Mitleid und daher waren eigentlich keine weiteren Worte nötig. Schließlich fasste sich der gute Mann und berichtete, dass die Priester der Einäscherung Narajas auf dem Platz vor der Herberge zugestimmt hätten.
XCV
Weil Gabrielle sich außer Lebensgefahr befand und ihr Zustand stabil war, gestattete Xena sich, in dieser Nacht auch einmal zu schlafen. Es war lange her, dass sie das richtig getan hatte und sie konnte kaum noch die Augen offen halten. Sie legte sich neben Gabrielle in das breite Bett und schnarchte bevor sie noch "gute Nacht" hatte sagen können. Die Bardin betrachtete versunken das edle Profil der Schlafenden bis die Kerzen herunter gebrannt waren. Dann schlief auch sie.Mitten in der Nacht wachte Xena auf. Irgendein Geräusch hatte sie geweckt. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie sich befand, aber dann fiel ihr alles wieder ein. Mit den geschärften Sinnen der erfahrenen Kriegerin lauschte sie. Da! Da war es wieder! Sie wendete langsam den Kopf und bemerkte, dass der Laut von Gabrielle gekommen war. Die Bardin drückte sich ihr Kopfkissen vor den Mund und schluchzte unterdrückt.
Erschrocken richtete Xena sich auf und zündete eine Kerze an. Dann beugte sie sich über die Freundin. "Gabrielle! Was ist los? Ist es . wegen deiner Beine?" Gabrielle nickte und zwischen ihren geschlossenen Augenlidern quollen ununterbrochen Tränen hervor. Der Kriegerin zerriß der Anblick buchstäblich das Herz. Sie nahm Gabrielles Kopf sanft in die Arme und drückte ihn an ihre Brust. Die Bardin ließ nun endlich das Kopfkissen los und schmiegte ihre Wange an die warme weiche Haut von Xenas Halsansatz. Dann ließ sie ihren Tränen freien Lauf und weinte zum Stein erweichen. Die große Kriegerin streichelte hilflos das Haar der Verzweifelten und überlegte einmal mehr, wie Gabrielle noch zu helfen wäre.
Und plötzlich hatte sie eine Idee! Aufgeregt nahm sie Gabrielles Gesicht in beide Hände und zwang die Bardin, sie anzusehen. "Gabrielle! Ich weiß, wer vielleicht deine Beine heilen kann, wenn sie nicht von alleine wieder in Ordnung kommen: Eli!" Xena strahlte über das ganze Gesicht. Gabrielle hörte abrupt auf zu weinen und ihre Miene hellte sich etwas auf. Hoffnungsvoll sagte sie: "meinst du? - Ja, das wäre vielleicht möglich!" Dann runzelte sie jedoch ihre Stirn: " Aber wir haben keine Ahnung, wo Eli sich aufhält " Xena machte eine wegwerfende Handbewegung. "Keine Sorge, ich werde ihn finden, und wenn ich dafür bis ans Ende der Welt reisen muß! Aber das wird gar nicht nötig sein denn er hat bei unserem Abschied in Indien gesagt, er wolle nach Hause. Er muß sich also irgendwo in Europa oder im nahen Osten befinden." Gabrielle sah Xena zwar zweifelnd an aber ihr Lebensmut war zurückgekehrt. "Schwacher Trost! Europa ist ja soooooo klein . Und wenn dann noch der nahe Osten dazu kommt ." Doch sie wusste, wozu Xena fähig war und dass sie gewöhnlich erreichte, was sie sich vornahm.
Die beiden Freundinnen berieten nun ihr weiteres Vorgehen und beschlossen schließlich, dass sie erst einmal abwarten würden, ob das Gefühl von alleine in Gabrielles Beine zurückkehrte wenn die Wunde verheilt war. Dadurch würden sie zwar Zeit verlieren und länger im Ungewissen darüber bleiben ob Gabrielle tatsächlich irgendwann wieder vollkommen gesund sein würde aber es wäre Wahnsinn, wenn Xena sich auf die mühsame und wahrscheinlich langwierige Suche nach Eli machen würde wenn diese vielleicht überflüssig war.
Mit neu gewonnener Zuversicht schliefen die beiden Frauen schließlich ein und schlummerten tief und traumlos bis der Hahn krähte.
XCVI
Es war noch dunkel draußen als Xena und Gabrielle sich für Narajas Einäscherung vorbereiteten. Xena zog ihr gereinigtes Lederkleid und darüber ihren Brustpanzer an, auch Schwert und Chakram würde sie tragen denn Naraja war auch einmal eine Kriegerin gewesen und so ehrte die Kriegerprinzessin die Kameradin.Gabrielle würde teilweise die Kleidung tragen, in der Naraja sie gekannt hatte : das grüne Oberteil. Die starren Beine und der Unterleib mit ihren Verbänden würden unter bestickten Decken verborgen bleiben.
In der Ferne waren schon die Schreie der Narajas Trauerzug begleitenden Klageweiber zu hören als Xena Gabrielle mithilfe des Wirts vorsichtig auf das zuvor mit Fellen gepolsterte Brett legte, auf welchem diese vom Kampfplatz hergetragen worden war. Dann trugen der Mann und die Kriegerin die Gelähmte behutsam die Treppe hinunter und durch die Tür auf den Platz vor der Herberge, wo sie die Trage auf zwei hölzerne Böcke niedersetzten.
Wie es die Sitte verlangte war es immer noch völlig dunkel. Der Mond war im Begriff unter zu gehen aber der östliche Himmel zeigte noch keinerlei Anzeichen des herannahenden neuen Tages. Auf der Mitte des Platzes war ein großer Scheiterhaufen für die Einäscherung errichtet worden. Gabrielles Füße zeigten in seine Richtung und Xena richtete die Bardin vorsichtig auf und stützte ihren Rücken und Kopf mit Kissen, so dass sie mit halb aufgerichtetem Oberkörper die Zeremonie würde verfolgen können. Der Wirt sorgte für eine sichere Fixierung der Trage auf ihrem Untergestell. Schweigend lauschten die drei dann dem Lärm des näher kommenden Trauerzugs und warteten reglos.
Fackelträger beleuchteten den Weg Narajas auf ihrem letzten Gang. Ihr vollständig in Tücher gewickelter Körper lag auf einer Bahre, die von vier Männern getragen wurde. Dahinter folgten ein paar Bewohner der Gegend, unter ihnen auch der Schmied, dessen Rüstung Gabrielle das Leben gerettet hatte. Klageweiber liefen neben der Toten her, schlugen sich vor die Brust und schrieen und heulten entsetzlich. Damit sie die Fahrt über den Totenfluß Styx bezahlen konnte, hatte man der "Botin des Lichts" eine Münze in den Mund gelegt, auch trug sie ein Stück Honigkuchen als Gabe für die Götter der Unterwelt bei sich.
Als der Zug auf dem Platz angekommen war, hob man Narajas Körper mitsamt der Bahre auf den Scheiterhaufen. Dann richteten sich alle Augen auf Xena. Die Kriegerin trat vor, räusperte sich und hielt eine kurze, improvisierte Rede: "liebe Landsleute, wir haben uns heute hier versammelt um Naraja, der "Botin des Lichts", ihr letztes Geleit zu geben. Sie war eine begabte, willensstarke Frau, die für ihre Überzeugungen .. bis zum äußersten ging. Sie hatte keine Furcht vor dem Tod, möge er ihr nun auch gnädig sein." Mehr fiel Xena beim besten Willen nicht ein, Gabrielle hätte das sicher viel besser gekonnt. Aber die Wahl der Trauergäste war nun einmal auf sie, Xena, gefallen und so musste das eben genügen. Die Kriegerprinzessin sah Gabrielle fragend an und die nickte ihr bestätigend zu. Zufrieden trat Xena wieder hinter die Trage der Freundin.
Die Fackelträger zündeten nun den Scheiterhaufen an, dessen trockenes Holz sofort Feuer fing. Bald loderten die Flammen hoch zum Himmel hinauf und dichter Rauch entzog Narajas Körper den Blicken der Umstehenden. Während die Klageweiber die Verbrennung mit ihrem Geheul untermalten, sahen Xena und Gabrielle in die Flammen und hingen ihren Gedanken nach.
XCVII
Xena musste daran denken, dass an Narajas Stelle genauso gut Gabrielles Körper auf dem Scheiterhaufen hätte liegen können: wenn Hippokrates mit seiner Bluttransfusion nicht gewesen wäre, Gabrielles Körper Xenas Blut abgewehrt hätte - oder Xena die Freundin getötet hätte um ihr die Qual eines Lebens mit gelähmten Beinen zu ersparen. Die Kriegerin erschauderte bei der Erinnerung an diese dunkle Stunde in ihrem Leben.Xena schaute hinunter auf Gabrielle und fühlte unendliche Dankbarkeit darüber, dass die kleine Bardin lebte und bei ihr war. Impulsiv legte sie eine Hand auf die Schulter der Freundin. Gabrielle sah mit von der Hitze des Feuers gerötetem Gesicht zu ihr auf und lächelte sie an. Dann legte sie sanft die eigene Hand auf Xenas Finger und schaute wieder in die Flammen.
Von Gabrielles Hand schien eine Wärme auszugehen, die bald Xenas ganzen großen Körper erfüllte. Der Atem der Kriegerprinzessin ging plötzlich schwerer und sie fühlte wieder einmal, was sie sich bisher nie in letzter Konsequenz einzugestehen gewagt hatte: dass sie Gabrielle mit allen Fasern ihres Seins liebte, nicht bloß seelisch und geistig, sondern auch ganz irdisch und menschlich auf körperliche Weise. Wieder sah sie auf die Freundin hinab: ihr Blick glitt über das im Feuerschein rötlich schimmernde kurze blonde Haar, die Stirn mit den Wangenknochen und der Nase darunter, Gabrielles nackte Schultern, ihre Brust und weiter über den unter Decken verborgenen Rest des Körpers. Xena seufzte leise.
Die Ereignisse der vergangenen Tage mit der beständigen Angst um das Leben ihrer Freundin, sowie die Möglichkeit dass diese gelähmt bleiben könnte hatten die Kriegerprinzessin verändert. Sie war nun fest entschlossen, Gabrielle endlich zu sagen, was sie wirklich für sie fühlte. Die Angst vor der Möglichkeit, die Freundin durch irgendeinen schlimmen Umstand zu verlieren ohne sich ihr offenbart zu haben überwog nun die Furcht vor einer ablehnenden Reaktion Gabrielles. Und war da nicht dieser leidenschaftliche Kuß auf Cäsars Fest gewesen? Der Kriegerin lief ein neuerlicher Schauder über den Rücken. Ja, sie würde Gabrielle alles sagen, bald, bei passender Gelegenheit.
XCVIII
Gabrielle sah in die Flammen des Scheiterhaufens und versuchte, einen letzten Blick auf Naraja zu erhaschen. Da der aufsteigende Rauch das nicht erlaubte, versuchte Gabrielle sich vorzustellen wie Narajas Seele ihren Körper verließ. Doch auch diese Bemühung scheiterte, denn plötzlich erschien Narajas Gesicht leibhaftig vor Gabrielles innerem Auge, mit großen grauen Augen lächelte sie die Bardin voller Zuneigung an und bewegte die Lippen als wolle sie etwas sagen. Gabrielle zwinkerte. Nicht nur, um dieses sehr lebendige Bild, welches ihr überraschenderweise wehtat, loszuwerden, sondern auch die Tränen, die plötzlich in ihren Augen brannten.Dann erinnerte Gabrielle sich an Naraja und alles, was sie mit ihr erlebt hatte und das war leider nicht immer erfreulich gewesen. Und sie dachte auch an Xenas Verhalten, ihre Härte gegen Naraja und ihre Eifersucht auf die "Botin des Lichts".
In diesem Moment legte die Kriegerin ihre Hand auf Gabrielles Schulter. Die Bardin musste lächeln und sah zu der stolzen Frau auf. Im Feuerschein schienen deren blaue Augen beinahe zu phosphorizieren. Gabrielle dachte: "ach du große, starke, schöne Xena! Du hattest es wirklich nicht nötig, eifersüchtig auf die arme Naraja zu sein! Du musst auf niemanden eifersüchtig sein denn für mich gibt es nur einen einzigen Menschen auf der Welt: dich! Außerdem konnte sie dir in keiner Weise das Wasser reichen." Sie legte ihre Hand auf die Xenas und sah wieder ins Feuer.
Als sich der erste helle Streifen am Horizont zeigte und den nahenden Tag ankündigte, war der Scheiterhaufen beinahe herunter gebrannt. Die Klageweiber waren verstummt und die Trauergemeinde löste sich jetzt auf, die Leute gingen schweigsam nach Hause. Später, wenn die Asche abgekühlt war, würde man Narajas Überreste einsammeln und in einer Urne beisetzen.
Xena und der Wirt trugen nun die inzwischen ziemlich erschöpfte Gabrielle wieder hinauf in ihr Zimmer und hoben sie auf das Bett. Müde legte die Kriegerin sich neben ihre Freundin um auch noch ein paar Stunden zu schlafen. Gabrielle nahm Xenas Hand. "Schlaf' gut, Xena!" sagte sie mit sanfter Stimme, die Xena durch Mark und Bein ging. "schlaf' gut, Gabrielle!" erwiderte die Kriegerin weich und musste sich räuspern. Dann schliefen sie Seite an Seite bis weit in den Morgen hinein.
XCIX
Die Tage vergingen, sonnige, warme Tage, die zunehmend das goldene Leuchten des Herbstes verströmten. Morgens lagen immer häufiger Nebelschwaden auf der grasigen Ebene und die Blätter an den vereinzelten Büschen und Bäumen färbten sich langsam gelb.Und immer noch konnte Gabrielle ihre Beine nicht bewegen. Zwar war die schwere Wunde auch noch nicht völlig verheilt aber allmählich schwand die Hoffnung in den Herzen der beiden Frauen, Gabrielles Beine könnten doch noch von selber genesen. Hippokrates hatte in einer Nachricht seine Freude über Gabrielles Überleben ausgedrückt und auch die Hoffnung auf eine Heilung ihrer Beine. Von einer etwaigen Behandlung derselben schrieb er jedoch kein Wort - es gab wohl keine . Xena bereitete sich innerlich auf die lange und mühsame Suche nach Eli vor, der ihre letzte Hoffnung war, und Gabrielles Lachen wurde immer seltener
Der während Narajas Einäscherung gefasste Entschluß, Gabrielle von der wahren Natur ihrer Liebe zu erzählen, lag der Kriegerprinzessin schwer auf der Seele und sie wartete ungeduldig auf eine Gelegenheit, ihn in die Tat umzusetzen. Aber je mehr Tage verstrichen und je größer Gabrielles Sorgen um den endgültigen Zustand ihrer Beine wurden, desto unpassender erschien es Xena, sie mit dem Geständnis ihrer Liebe zu belästigen und sie wurde immer mutloser. Doch die Vorstellung, alleine auf die unsichere Suche nach Eli gehen zu müssen ohne Gabrielle ihre Gefühle offenbart zu haben, machte Xena ganz krank! Wer konnte schon wissen, ob sie einander wieder sehen würden. Die dramatischen Ereignisse der letzten Zeit hatten Xenas Urvertrauen zutiefst erschüttert .
C
Eines Nachmittags saß Gabrielle mit einer Decke über den Beinen in der Sonne auf der Bank vor der Herberge als Xena von einem Ritt in die nächstgelegene Kleinstadt zurückkehrte. Auf einem Tischchen neben der Bank standen ein Krug mit Wasser, eine Schale mit Gebäck und Gabrielles Schreibutensilien.Als Xena herannahte hob die Bardin den Kopf und sah ihr entgegen. Wie schon oft zuvor bewunderte sie die imposante Gestalt ihrer stolzen Freundin, deren schwarzes Haar wild im Wind flatterte und die auszusehen schien wie die Göttin Artemis persönlich. Gabrielles Herz klopfte schneller.
Temperamentvoll schwang Xena ihr Bein über Argos Rücken und landete federnd neben Gabrielle auf der Erde. "Hey, Gabrielle! Schau' mal, was ich dir mitgebracht hab'!" Xena kramte in den Satteltaschen und förderte ein paar Schriftrollen zutage. "Die habe ich einem fahrenden Händler abgekauft. Ich dachte mir, ein wenig Kultur würde dir mal wieder gut tun. Ich hab' allerdings nicht nachgeschaut was drinsteht." Neugierig nahm Gabrielle die Schriftstücke aus Xenas Händen und rollte sie eine nach der anderen auseinander. "Sophokles! Platon! Und sogar Gedichte von Sappho! Oh Xena, ich danke dir!" Sofort versenkte die Bardin sich in ihre neue Lektüre und Xena, die sie ein Weilchen beim Lesen beobachtete, freute sich sehr, dass Gabrielle auf diese Weise wenigstens für kurze Zeit ihre Sorgen vergaß.
CI
Xena sattelte Argo ab und brachte die Stute zum Grasen auf die Wiese. Dann kehrte sie zu Gabrielle zurück um sie zu fragen, ob sie etwas brauchte. Aber Gabrielle sah kaum von der Schriftrolle auf, so sehr schien sie das zu fesseln, was sie gerade las, und murmelte eine dankende Ablehnung. Kurz darauf sagte sie aufgeregt: "setz' dich, Xena! Auch wenn du sonst nicht viel für Literatur übrig hast: das hier musst du einfach hören!" Froh, Gabrielle einen weiteren Gefallen tun zu können, setzte die Kriegerin sich zu ihr auf die Bank. "Lies nur, ich bin ganz Ohr!" Jetzt sah Gabrielle Xena endlich an und diese war verblüfft von dem freudigen Leuchten in den grünen Augen. Wie lange hatte sie das nicht mehr gesehen! Nur zu gerne hörte sie Gabrielle zu, egal, wie kompliziert oder langweilig ihr der Text vielleicht vorkommen mochte, wenn sie die Bardin damit nur ein klein wenig glücklich machen konnte!Gabrielle sagte: "der Text, den ich dir gleich vorlesen werde, stammt von dem großen Philosophen Platon. In diesem Werk, das er Symposion nennt, geht es um die Natur des Eros. Leider ist das hier nur ein Auszug aus einem größeren Zusammenhang." Xena spitzte die Ohren. Das schien doch interessanter zu werden als sie gedacht hatte! Gabrielle warf einen kurzen Blick auf ihre Freundin und als sie sicher war, deren ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben, begann sie folgendes vorzulesen:
" .Unsere ursprüngliche Natur war anders als jetzt. Zum einen gab es drei menschliche Geschlechter, nicht nur zwei so wie jetzt das männliche und das weibliche. Es gab nämlich noch ein drittes, das mann-weibliche.
Außerdem war die Gestalt jedes Menschen rund und er hatte vier Arme, vier Beine und zwei Gesichter an einem Kopf. Außerdem besaß er vier Ohren, zweifache Geschlechtsteile und was sonst noch dazu gehört.
Die drei Geschlechter gab es, weil das männliche ursprünglich der Sonne entstammte, das weibliche der Erde und das mann-weibliche dem Mond, der sowohl an der Sonne als auch an der Erde teilhat.
Die Kugelmenschen waren gewaltig an Kraft und Stärke und mächtig in ihren Gedanken. Und so versuchten sie, Zugang zum Himmel zu erlangen um die Götter zu stürzen.
Da beratschlagte Zeus mit den anderen Göttern im Olymp, was sie mit den Kugelmenschen tun sollten. Töten wollten sie sie nicht, weil es dann niemanden mehr gegeben hätte, der sie ehrte und ihnen Opfer darbrachte. Gewähren lassen konnten sie sie aber auch nicht.
Schließlich hatte der Göttervater einen Einfall und schwächte die Menschen indem er sie in zwei Hälften zerschnitt wie wenn man eine Frucht zerteilt. Sobald er einen zerteilt hatte, befahl er Apollon, dem halben Menschen das Gesicht zum Schnitt hin zu drehen, damit er, seine Unvollkommenheit immer vor Augen habend, demütiger würde.
Nachdem nun der Kugelmensch halbiert war, sehnte sich jede Hälfte nach der anderen und sie umschlangen sich um wieder zusammen zu wachsen. Seitdem ist die Liebe zueinander den Menschen angeboren und versucht, aus zwei Teilen wieder eines zu machen um die menschliche Natur zu heilen.
Jeder von uns ist also nur die Hälfte eines Ganzen und sucht ohne Unterlaß die andere. Diejenigen, die Hälften eines mann-weiblichen Kugelmenschen sind, suchen ihre fehlende Hälfte beim anderen Geschlecht. Jene Frauen, die vom weiblichen Geschlecht der Erd-Kugelmenschen sind, können ihre andere Hälfte nur unter den Frauen finden, die den männlichen Sonnen-Kugelmenschen entstammenden Männer nur unter Männern.
Trifft aber einer endlich einmal seine wahre zweite Hälfte, so ist ihre Liebe und Einigung voller Verzückung und sie wollen auch nicht die kleinste Zeit voneinander getrennt sein. Und die, die ihr Leben lang zusammen bleiben, könnten noch nicht einmal genau sagen, weshalb. Würde aber Hephaistos vor sie hintreten und sie fragen, ob er sie mit seinen Werkzeugen zusammenschmelzen solle, so dass sie eins würden und auch im Tod nicht getrennt, so würde keiner von beiden zögern zuzustimmen sondern erkennen, wonach er immer gestrebt hat: durch Nähe und Verschmelzung mit dem Geliebten eins zu werden."
Während die Bardin vorlas, waren Xenas Augen immer größer geworden. Aufgeregt hatten sie an Gabrielles Lippen gehangen. Als diese nun geendet hatte, die Schriftrolle sinken ließ und sie erwartungsvoll ansah, begann sie mit klopfendem Herzen und rauer Stimme: "Gabrielle .."
CII
"Gabrielle!" Der Wirt kam in Begleitung des Schmieds um die Hausecke und steuerte zielstrebig auf die beiden Frauen auf der Bank zu. Xena fluchte innerlich: der Moment war so günstig gewesen - und nun war er vorbei!Der Wirt fuhr fort: "Gabrielle, schau' mal, was der Schmied für dich gemacht hat!" Die beiden Männer führten ein seltsames Vehikel mit sich, eine Art Stuhl auf Rädern. Die Räder waren so groß, dass sie bis an die Armlehnen reichten und hatten feine Speichen aus glänzendem Metall, auch die Felgen bestanden aus diesem Material. Der Stuhl selbst war säuberlich gepolstert und mit besticktem blauem Stoff bezogen, der einem Fürsten alle Ehre gemacht hätte.
Ein wenig skeptisch beäugten die Freundinnen das Werk des Schmieds. Der arme Mann hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen weil seine Rüstung Gabrielle nicht besser vor dem fürchterlichen Schwerthieb geschützt hatte. Insgeheim gab er sich die Schuld an Gabrielles Lähmung und hatte lange darüber nachgegrübelt, was er dazu beitragen konnte, ihr das Leben mit der Behinderung wenigstens etwas erträglicher zu machen. Dabei herausgekommen war dieser Stuhl, den er nun stolz präsentierte.
Xena sagte in ihrer trockenen, direkten Art: "Sehr schön! Aber wozu soll das gut sein?" Aufgeregt erklärte der Schmied: "das ist ein Rollstuhl! Gabrielle kann darin sitzen und sich ohne Hilfe fortbewegen, indem sie mit den Händen die Räder dreht!" Einschränkend fügte er hinzu: "na ja, wenigstens auf ebenem Boden, also zum Beispiel auf einer Etage im Haus." Gabrielles Augen wurden dunkel. So lieb dieses Geschenk auch gemeint war und so sehr es ihr vielleicht nützen konnte, führte es ihr doch drastisch vor Augen, dass die Leute hier nicht mehr an eine Heilung ihrer Beine glaubten. Xena sah das Gesicht der Freundin und begriff sofort, was in ihr vorging. Schnell sagte sie: "das ist eine gute Idee. Aber Gabrielle wird sicher bald wieder laufen können. Ihr kennt Eli und seine Heilkräfte nicht! Aber bis dahin ist der Stuhl ihr sicher nützlich." Gabrielle sah Xena prüfend an und bemerkte hinter der zuversichtlichen Miene sehr wohl den Schmerz in den Augen der Kriegerin. Sie schluckte mühsam, dann lächelte sie ihrerseits ihr etwas schiefes Lächeln und sagte zum Schmied: "Ich danke dir! Ich werde deinen Stuhl sicher gut benutzen," und mit einem Blick zu Xena: "jedenfalls bis Eli da ist."
Gabrielle ließ sich nun vom Schmied die Bedienung des Stuhls erklären und übte ein paar Mal, selbständig von der Bank aus hinein zu kommen, indem sie sich mit den Armen abstützte. Sie lobte die Bequemlichkeit der Konstruktion und sagte scherzend: "Na, und meine Arme werden dabei auch gleich trainiert. Sicher werde ich bald Muskeln wie Ares haben!" aber es wollte ihr nicht so recht gelingen, einen scherzhaften Tonfall zu treffen.
CIII
Die beiden Männer gingen nun wieder ihren Geschäften nach. Der Schmied war sehr zufrieden mit dem Anklang, den sein Stuhl doch offensichtlich bei Gabrielle gefunden hatte. Xena und die Bardin blieben alleine vor der Herberge zurück, die Kriegerin saß immer noch auf der Bank und Gabrielle in ihrem neuen Rollstuhl.Da war es wieder, das finstere Gespenst der Lähmung und hatte die gelöste Stimmung vertrieben, die vor dem Eintreffen der beiden Männer geherrscht hatte. Von Gabrielles Freude und Aufregung über die Schriftrollen war nichts mehr übrig, düster blickte sie wieder vor sich hin: selbst der Gedanke an Heilung durch Eli konnte sie seit einiger Zeit nicht mehr so recht aufmuntern, eine graue Hoffnungslosigkeit breitete sich allmählich in ihr aus und erstickte nach und nach alle positiven Gefühle und Gedanken. Die Ablenkung war nur von kurzer Dauer gewesen und auch der kostbare Moment nach dem Vorlesen des Textes von Platon war unwiederbringlich vorbei. Mutlos ließ Xena den Kopf sinken. Es hatte wohl nicht sein sollen ..
Gabrielle fragte leise: "Xena, wie lange wollen wir noch darauf warten, ob meine Beine von selbst wieder in Ordnung kommen?" Die Kriegerin hob den Kopf und seufzte. "Das hab' ich mich auch schon gefragt, Gabrielle. Ich denke, wir sollten nicht mehr allzu lange warten. Der Winter naht mit seinem schlechten Wetter und ich sollte im Süden sein und dort mit meiner Suche nach Eli beginnen, bevor er herein bricht." Gabrielle nickte. Die Vorstellung, die Bardin für wahrscheinlich lange Zeit alleine lassen zu müssen, zumal in diesem Zustand, brach Xena fast das Herz. Sie würde sie schrecklich vermissen und niemand wusste, was in der Zwischenzeit alles passieren konnte. Darum sagte Xena: "laß' uns noch eine Woche abwarten, ja? Deine Verletzung ist immer noch nicht ganz verheilt und vielleicht geschieht ja noch - ein Wunder ." Gabrielle war einverstanden. Dann saßen die Frauen schweigend da bis es dämmerte.
CIV
Vier weitere Tage vergingen. Xena überprüfte ihre Ausrüstung und Argos Sattelzeug und reparierte was schadhaft war. Außerdem besorgte sie Proviant und allerlei Kleinkram, der auf einer so langen und strapaziösen Reise wie sie ihr bevorstand, unentbehrlich war. Gabrielle konnte sich zwar in der Schankstube selbständig mit ihrem Rollstuhl bewegen aber die Härte der Felgen machte es mühsam, auch nur kleine Unebenheiten zu überwinden. Und so war sie immer noch sehr eingeschränkt in ihren Bewegungen und fast immer auf die Hilfe anderer angewiesen. Darunter litt sie am meisten.So oft wie möglich saß Xena bei Gabrielle: in der Sonne auf der Bank vor der Herberge, in der Schankstube oder oben in ihrem Zimmer, das ihnen schon so vertraut war, als hätten sie bereits ewig darin gewohnt.
Für die Kriegerin war es nahezu unvorstellbar, dieses Mal ohne ihre treue Freundin los zu ziehen, für eine lange Zeit nicht mehr ihre lieb gewordene Stimme zu hören, nicht mehr morgens an ihrer Seite aufzuwachen, nicht mehr mit ihr zu lachen oder zu streiten, nicht mehr in ihre Augen sehen zu können und alle Kämpfe alleine bestehen zu müssen. In den vielen gemeinsamen Jahren waren sie zusammengewachsen und die Vorstellung, ohne Gabrielle unterwegs sein zu müssen gab Xena das Gefühl, als bestünde ihr die grausame Amputation eines wichtigen Körperteils bevor.
Immer wieder musste Xena an Platons Kugelmenschen denken. Aber sie brachte es einfach nicht fertig, Gabrielle die wahre Natur ihrer Liebe zu gestehen. Wieder und wieder rang die stolze Kriegerin darum, aber es kam ihr einfach nicht über die Lippen. Die sonst so sensible Gabrielle hätte unter normalen Umständen gewiß gemerkt, dass ihre Freundin etwas auf dem Herzen hatte und danach gefragt. Dann wäre es Xena vielleicht leichter gefallen, Gabrielle alles zu erzählen, aber die Bardin war so versunken in ihr eigenes Leid, dass ihr die Kraft fehlte, die Nöte anderer Menschen zu fühlen, selbst die ihrer Freundin Xena. Zwischen ihnen schien sich eine unsichtbare Mauer auf zu türmen die die vertraute Nähe unmöglich machte. So waren sie zwar körperlich beieinander aber ihre Seelen waren getrennt und jede von ihnen alleine. Xena hatte sich noch nie in ihrem Leben so einsam gefühlt wie jetzt, da Gabrielle zwar bei ihr zu sein schien, in Wirklichkeit aber unerreichbar weit weg war. Und sie lernte, dass Einsamkeit in Gesellschaft von Menschen viel größer sein konnte als die Einsamkeit des Alleinseins. Das war eine sehr bittere Erfahrung für die Kriegerprinzessin und sie begann allmählich, den Zeitpunkt ihrer Abreise herbeizusehnen ohne es sich jedoch einzugestehen ..
CV
Drei Tage vor ihrer geplanten Abreise ging Xena morgens zu Argo in den Stall um die Stute zu striegeln.Das Wetter war trüb und grau und es fiel ein leichter Nieselregen. Darum hatte Gabrielle sich nach dem Frühstück von Xena auf ihr Zimmer tragen lassen anstatt auf die Bank vor der Herberge. Dort saß sie nun in ihrem Rollstuhl und schrieb in ihre Schriftrollen, deren Inhalt sie Xena in letzter Zeit gegen ihre Gewohnheit gar nicht mehr mitzuteilen wünschte, eine weitere Veränderung, die Xena weh tat und die ihr Sorgen bereitete. Sie hatte sogar schon mit dem Gedanken gespielt, einen Blick in die Rollen zu werfen, wenn Gabrielle schlief um herauszufinden, was in der Freundin vorging - und um ihr auf diese Weise vielleicht ein wenig näher zu sein.
Argo genoß wie immer, dass Xena sie mit dem Striegel bearbeitete und drückte ihr Wohlbehagen mit leisem Schnauben aus, während sie mit gesenktem Kopf das duftende Heu fraß, welches Xena ihr gebracht hatte. Die Kriegerprinzessin sprach leise mit ihrer Stute, erzählte ihr von der bevorstehenden Reise, von Gabrielle und all den vielen Dingen, die ihr so schwer auf der Seele lagen. Argo fraß und hörte zu. Während sie so sprach und ihrem Pferd das Herz ausschüttete, weil sie sonst niemanden dafür hatte, kamen Xena immer wieder die Tränen und einmal überwältigte sie gar der Schmerz und sie schlang die Arme um Argos Hals, vergrub das Gesicht in der hellen Mähne des Tieres und weinte bitterlich. Danach putzte sie schniefend die andere Seite der Stute.
Doch plötzlich hielt Xena mitten in ihrer Bewegung mit erhobenem Arm inne und erstarrte: hatte da nicht gerade jemand ihren Namen gerufen? Ja, da war es wieder, unverkennbar die sich fast überschlagende Stimme Gabrielles: "Xena! Xena!! Komm' schnell! Xena!!!"
Der Ruf fuhr der Kriegerin durch alle Glieder. Was konnte da geschehen sein? War Gabrielle etwas passiert? Sie war so schrecklich hilflos! Xena schleuderte den Striegel so heftig in eine Ecke der Box, dass Argo sich erschrocken aufbäumte. Dann raste die große Frau wie von Sinnen aus dem Stall, flog über den Platz, stürzte durch die Herbergstür und sprang die Treppe hinauf zum Zimmer, aus dem immer noch Gabrielles inzwischen tränenersticktes Rufen nach ihrer Freundin zu hören war.